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Die Belasteten: ›Euthanasie‹ 1939-1945. Eine Gesellschaftsgeschichte (German Edition)

Die Belasteten: ›Euthanasie‹ 1939-1945. Eine Gesellschaftsgeschichte (German Edition)

Titel: Die Belasteten: ›Euthanasie‹ 1939-1945. Eine Gesellschaftsgeschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Götz Aly
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»Zeugen«, Vorhalte fand er überflüssig, fadenscheinige Ausflüchte protokollierte er unwidersprochen als Grundlage für seinen späteren Beschluss, das Verfahren einzustellen. Behende reagierten die Behörden nur in einer Hinsicht: Der Anzeigende, Werner K., wurde nämlich polizeilich in eine Düsseldorfer Nervenheilanstalt eingewiesen. Das geschah auf Betreiben des Bezirksamts Reinickendorf von Berlin – des Dienstherrn des Angeschuldigten Willi Behrendt. Von K. gehe, so die Begründung, eine »Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung« aus, und er steigere sich »offenbar krankheitsbedingt« in die Vorstellung hinein, dass ihm während seiner Unterbringung in den Wittenauer Heilstätten »Unrecht geschehen sei, für das er Entschädigung verlangen könne«.
    Oberarzt Behrendt erreichte 1973 in Ehren das Pensionsalter; Professor Kujath starb 1978 als anerkannter und unbescholtener Jugendpsychiater; Werner K. wurde wegen offensichtlicher Unbegründetheit seiner Zwangseinweisung alsbald aus der Düsseldorfer Klinik entlassen, arbeitete weiter als Kraftfahrer in Essen und erhielt 1988 eine Zusatzrente aus dem Berliner Härtefallfonds für vergessene Opfer des Nationalsozialismus. Seine Krankenakte aus der NS-Zeit, die es 1964 noch gegeben hatte, ist verschwunden. Der Beamte des Bezirksamts Reinickendorf, W.-D. Weltzien, der den Anzeigenden K. 1964 so schnell als Gemeingefährlichen, Geisteskranken und Rentenneurotiker abgestempelt und die Polizei auf ihn gehetzt hatte, wurde später Verwaltungsleiter der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik und blieb es, bis er im Februar 1988 unfreiwillig zurücktreten musste. [72]  

    Nur einmal zwischen 1945 und 1988 war die Ermordung vieler Tausender Berliner Geisteskranker ein öffentliches Thema: Gleich nach dem Krieg erschien 1946 – nicht in Berlin, sondern 800 Kilometer entfernt – ein unscheinbarer Artikel in der Badischen Zeitung. Unter der Überschrift »Die Fahrt ins Blaue« berichtete der Verfasser eine Geschichte, die er »im Großen und Ganzen schon kannte«, die ihn »aber durch ihre Einzelheiten berührte, als wäre sie neu«. Anvertraut hatte sie ihm ein ehemaliger Kollege, der den Autor in einem kleinen Ort im Schwarzwald erkannt und angesprochen hatte. Beide waren sich Jahrzehnte zuvor als Ärzte in einem der vier großen Berliner Irrenhäuser begegnet. Der eine war später niedergelassener Arzt geworden, der andere Anstaltsarzt geblieben und erzählte – »immer leicht benommen und erregt« – dem Kollegen aus jungen Jahren, wie der Direktor einer dieser Berliner Anstalten ihm und den anderen Ärzten sechs Jahre zuvor auf einer der üblichen Konferenzen und zwischen den anderen Punkten mitgeteilt habe, es seien Listen mit allen Kranken anzulegen, die sich länger als fünf Jahre in der Anstalt befänden »und die zudem nicht so viel arbeiteten, dass dies auf ihre Verpflegung in Anrechnung gebracht werden könne«. Sodann seien Fragebogen verteilt worden, die Stationsärzte füllten sie aus. Nach einer Pause von mehreren Wochen setzten Evakuierungen ein. Zuerst war das Verbrecherhaus an der Reihe, dann traf es die anderen Häuser, »eine Station nach der anderen«.
    Weiter stand in dem Bericht der Badischen Zeitung: »Die Angehörigen, nicht benachrichtigt, kommen sonntags zu Besuch, verstehen nichts. Die Pfleger können keine Auskunft geben. Schließlich wird mitgeteilt: Die Berliner Anstalten müssen weitgehend geräumt werden, die Kranken kommen in Provinzialanstalten. Die Angehörigen schimpfen eine Weile herum, aber beruhigen sich. Es leuchtet ihnen ein, denn die Krankenhäuser der Stadt leiden unter den Fliegerangriffen, und man kann sich überzeugen: Die leeren Räume werden frisch gestrichen und zu Krankensälen für innere und chirurgische Kranke umgewandelt.«
    Die zum Abtransport fertig gemachten Kranken sollten ihren Namen auf der Haut tragen. Sie »waren zu zeichnen wie Schweine«. So sagten es die Pfleger und Pflegerinnen. Sie halfen zu diesem Zweck einem jeden, die Bluse abzulegen, das Hemd über die Brust hochzustreifen, und während sie ihm beruhigend zusprachen, musste der Patient »den Buckel krumm machen«: »Die Pflegerin hinter ihm schreibt deutlich mit dem Farbstift einen Vor- und Zunamen auf die Haut – Tränen in den Augen.« Das alles sei im Morgengrauen geschehen, große Personenautos – Busse – rollten vor, die Fenster mit weißem Papier verklebt. So vollzog sich der Abtransport.
    »Langsam aber sickerte

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