Die Belasteten: ›Euthanasie‹ 1939-1945. Eine Gesellschaftsgeschichte (German Edition)
Umkreis der Häfen Danzig, Gdingen (umbenannt in Gotenhafen), Swinemünde und Stettin lagen. Etwas später folgten Massenmorde an Anstaltsinsassen in den westpolnischen Regierungsbezirken Posen und Lodz, die nunmehr als Warthegau in das Deutsche Reich einverleibt und mit Deutschen besiedelt wurden.
Das Sonderkommando des Kriminalrats Herbert Lange ermordete die Kranken mit Hilfe von Gaswagen; die Massenerschießungen oblagen dem Sonderkommando Eimann. [116] Sturmbannführer Kurt Eimann begann seine Tätigkeit in der Nähe von Neustadt/Westpreußen. Lange und seine Männer fuhren mit ihrem Gaswagen in den jeweiligen Anstalten vor. Erschossen und in Gaswagen erstickt wurden deutsche Patienten aus Pommern, deutsche, polnische und jüdische Patienten aus dem Warthegau und aus dem jeweils um polnische Gebiete erweiterten Ost- wie auch Westpreußen – insgesamt mehr als 13000 Menschen. [117]
Anstalt
Zahl der Ermordeten
Von Oktober bis Dezember 1939 fanden in der Nähe on Neustadt/Westpr. Exekutionen an Patienten aus den pommerschen Anstalten Stralsund, Lauenburg, -Ueckermünde, Treptow a.d. Rega statt.
1400
In Konradstein/Westpr. (Kocborow) zwischen dem 22. 9. 1939 und 4. 1. 1940
1692 [118]
in Schwetz (Swiecie) im Oktober 1939
1068
in Gnesen (Dziekanka-Gniezno) zwischen dem 7. 12. 1939 und 12. 1. 1940
1043
in Owinska (Treskau) bei Posen von Oktober bis -Dezember 1939 etwa
1000
in Chelm/Lubelski am 12. 1. 1940
441 [119]
in Kosten (Koscian) zwischen dem 15. und 22. 1. 1940 und vom 9. Februar bis März 1940 brandenburgische und pommersche Patienten
2750
in Gasten (Gostynin) zwischen dem 3. 2. und 3. 4. 1940
48
in Lodz (Pflegeheim der jüdischen Gemeinde für -psychisch Kranke) im März 1940
50
in Kochanówka (b. Lodz) zwischen dem 13. und 27. 3. 1940
692
in Warta (Kreis Schieratz), April 1940
792
in Soldau zwischen dem 21. 5. und 8. 6. 1940
1558
Insgesamt
13130
Die Liste ist mit Sicherheit nicht vollständig. So gab 1962 ein Zeuge zu Protokoll, die Gaswagen seien zunächst in Stralsund zur Tötung von Geisteskranken eingesetzt gewesen. [120] Wie sich aus einem Bericht des T4-Arztes Robert Müller vom 11. Dezember 1942 schließen lässt, wurden in Pommern von insgesamt 7500 Patienten bei Kriegsbeginn etwa 5000 verlegt und wohl zum größeren Teil ermordet. Ähnliches ergibt sich für den Warthegau. Dort wurden von insgesamt 4650 Betten in Heil- und Pflegeanstalten 2800 im Winter 1939/40 »anderen Zwecken zur Verfügung gestellt«, in Danzig-Westpreußen etwa 2500 Betten. [121]
Für die Organisation des Mordens errichteten die Behörden des Warthegaus zunächst die Zentralstelle für Krankenverlegungen in Kalisch, dann eine Institution gleichen Namens in Posen, die Obermedizinalrat Hans Friemert führte. Dessen Mitarbeiter Inspektor Otto Fischer leitete das zur Tarnung eingerichtete Sonderstandesamt und stellte für die Ermordeten Sterbeurkunden mit gefälschten Todesursachen und -daten aus. [122] Eine ähnliche Einrichtung befand sich vorübergehend im pommerschen Schneidemühl. [123]
Am 23. Oktober 1939 hatte der Chef der Einwandererzentrale, Martin Sandberger, »dringend« gefordert, ihm für die baltendeutschen Neuankömmlinge »mindestens 5000 Betten, Matratzen, Bettzeug und Essgeschirr« zu überlassen. [124] Am 2. November teilte er mit, dass »in Posen zur Zeit nur Durchschleusungsunterkünfte für 6000 Personen vorhanden« seien. Weil die Umsiedlung der 60000 Volksdeutschen aus Lettland entsprechend dem Umsiedlungsvertrag mit der Sowjetunion bis zum 15. Dezember 1939 abgeschlossen sein müsse, sei es erforderlich, die Aussiedler zunächst in Ausweichunterkünften unterzubringen. [125]
Am 29. Oktober 1939 sprachen die Funktionäre der Einwandererzentrale über die »Versorgung der kranken und gebrechlichen Baltendeutschen«. Die 700 Gebrechlichen sollten, so das Ergebnis, »abtransportiert« werden. Deshalb müsste »sofort« alles veranlasst werden, um »die ehemalige Fürsorgeanstalt Neustadt freizubekommen«. Nach dem Protokoll dieser Besprechung hatte dasselbe im Umkreis der pommerschen Häfen zu geschehen, in denen die nächsten Schiffe mit ausgesiedelten Baltendeutschen einlaufen würden. [126] Dass dies tatsächlich geschah, ergibt sich beispielsweise aus einem Gesuch
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