Die Belasteten: ›Euthanasie‹ 1939-1945. Eine Gesellschaftsgeschichte (German Edition)
der Georg Bessau vorstand. Die Psychiater, die in der Anstalt Leipzig-Dösen Kinder ermordeten, pflegten den wissenschaftlichen Austausch mit dem Kaiser-Wilhelm-Institut für Hirnforschung in Berlin-Buch und mit der Universitätskinderklinik in Leipzig. [177]
Ihre Kollegen auf der Todesstation für Kinder in München-Haar kooperierten mit der örtlichen Universitätskinderklinik unter Alfred Wiskott und – wie auch die Ärzte der Kinderfachabteilungen Ansbach und Kaufbeuren – mit der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie in München. [178]
Diese renommierte Einrichtung, ebenfalls ein Kaiser-Wilhelm-Institut, errichtete eine eigene Prosektur in Haar, geleitet von den Ärzten Hans Schleusing und Barbara Schmidt. Enge Verbindungen bestanden zwischen dem Wiener Lehrstuhl für Kinderheilkunde (Franz Hamburger) und der dortigen Kinderfachabteilung Am Spiegelgrund; die Universitätskinderklinik und die Psychiatrische Klinik in Heidelberg wirkten bei ihren Forschungen mit den Todesanstalten Eichberg, Kalmenhof und Wiesloch zusammen; das Neurologische Forschungsinstitut Viktor von Weizsäckers in Breslau bezog regelmäßig Kindergehirne aus der nahegelegenen psychiatrischen Klinik Loben (Lubliniec). [179]
Hans Heinze, Werner Catel und Ernst Wentzler, die Gutachter des Reichsausschusses, sicherten sich für derartige Forschungen das Recht des ersten Zugriffs auf die zu ermordenden Kinder. »Ich wäre dankbar«, schrieb Hefelmann im November 1942 an Wentzler, »wenn Sie als auch die beiden anderen Gutachter auf den Begutachtungsbögen jeweils vermerken würden, für welche Fälle ein Interesse seitens Leipzig oder Görden besteht. Die Zuweisungen werden dann entsprechend erfolgen.« [180] Vorausgegangen war ein Schreiben, mit dem Wentzler 12000 Reichsmark für wissenschaftliche Projekte beantragt hatte. Weil die Aufbauarbeit des Reichsausschusses weitgehend abgeschlossen sei, so argumentierte er, und sich »die eigentliche Aufgabe dieser Organisation in stiller und reibungsloser Weise erfüllt, ergeben sich in wissenschaftlicher Beziehung neben bereits vollendeter Arbeit neue und große Ziele«. [181]
Ebenfalls im November 1942 berichtete Wentzler von einem Treffen, das am 15. Oktober 1942 mit den beiden anderen Gutachtern Heinze und Catel in Leipzig stattgefunden hatte. Nicht zuletzt hatten die drei dort die Methodik des Tötens erörtert: »Die Behandlung der Kinder mit den verschiedenen Pharmaka hat zum Teil unbefriedigende Resultate gezeitigt. Es wurde deshalb angeregt, einen Toxikologen beratend hinzuzuziehen. Hierbei wurde der Name von Dr. Weimann genannt.« Der nach dem Krieg bekannt gewordene Berliner Gerichtsmediziner Waldemar Weimann sollte offenbar ein möglichst unauffälliges, effizientes und schwer nachweisbares Mordverfahren entwickeln.
Ferner überlegten die Gutachter, mit welchen Pathologen sie zusammenarbeiten könnten. Sie bezeichneten die Gehirne der von ihnen zum Tod bestimmten Kinder als »Reichsausschussmaterial«, und Wentzler resümierte: »Die Verteilung der Pathologen zur Auswertung des Reichsausschussmaterials ist nach Ansicht der Gutachter noch nicht befriedigend gelöst. Insbesondere wurde als wünschenswert bezeichnet, dass der Pathologe Dr. (Georg) Friedrich, welcher als Militärarzt in Berlin-Buch stationiert ist und mit Professor Hallervorden zusammenarbeitet, u.k. (vom Militärdienst unabkömmlich) gestellt oder beurlaubt wird, damit er das in seinem Heimatort Leipzig anfallende Reichsausschussmaterial dort bearbeiten kann. Es müsste dies allerdings mit Professor Hallervorden vorher besprochen und ihm, wenn irgend möglich, ein gewisser Ersatz gegeben werden. In Westdeutschland soll für die dortigen Stationen die Pathologenfrage sehr ungünstig sein (Bericht von Dr. Heinze). Es wird deshalb angefragt beziehungsweise vorgeschlagen, ob nicht der Pathologe (Hans-Joachim) Rauch in Heidelberg auch das Material einiger anderer westdeutscher Anstalten mitverarbeiten kann.« Bald darauf wechselte Georg Friedrich nach Leipzig-Dösen. Seinem militärischen Chef schrieb er: »Herr Brack hat sich mit der Entbindung von der Schweigepflicht gegenüber Ihnen, sehr verehrter Herr Oberstabsarzt, einverstanden erklärt« und »würde Sie gelegentlich gerne kennenlernen«. [182]
Zu der Frage Hefelmanns, welche Themen die drei Gutachter beforschen wollten, teilte Wentzler mit, Heinze werde »diejenigen Fälle bearbeiten, wo es sich um Formen der Idiotie handelt,
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