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Die Belasteten: ›Euthanasie‹ 1939-1945. Eine Gesellschaftsgeschichte (German Edition)

Die Belasteten: ›Euthanasie‹ 1939-1945. Eine Gesellschaftsgeschichte (German Edition)

Titel: Die Belasteten: ›Euthanasie‹ 1939-1945. Eine Gesellschaftsgeschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Götz Aly
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wohlinformierte Helferin ein Ergebnis ihrer Taten und beklagten scheinheilig, dass es kaum je möglich sei, seltene Gehirnanomalien anatomisch zu untersuchen und zugleich über genaue klinische Befunde zu verfügen.

    Offensichtlich war schon Ende 1941 versucht worden, Heidi Grube in eine »andere Anstalt« zu verlegen. Daraufhin hatte deren Vater bei der Direktion der Alsterdorfer Anstalten interveniert: »Ich möchte Sie unter allen Umständen bitten, alles in Ihrer Macht Stehende zu tun, um zu verhindern, dass Heidi Ihre Anstalt verlassen muss. (…) Für mich, der ich als Soldat im Felde stehe, ist es sehr beruhigend zu wissen, dass mein Kind bei Ihnen in guten Händen ist. Dieses Gefühl würde ich bei einer Verlegung nicht mehr haben können.« [188]  
    Der Vater hatte seine Tochter drei Tage zuvor während eines Urlaubs besucht, auch Heidi Grubes Hamburger Großmutter und Tante kümmerten sich regelmäßig um das Mädchen.
    Als dieses im August 1943 von Hamburg nach Wien verlegt wurde, war es neun Jahre alt, wog 29,6 Kilogramm, hatte brünettes Haar und war 1,34 Meter groß. Die aufnehmenden Ärzte diagnostizierten einen infolge einer Missbildung »schiefen« Kopf, ein »stark asymmetrisches Gesicht«, eine ebenso asymmetrische Zunge und meinten zum psychischen Befinden: »Fühlt sich anscheinend wohl.« Heidi Grube galt als »gemütlich«, konnte ihren Namen sagen und einzelne Körperteile zeigen. Ende 1942 wurde sie so beschrieben: »Patient ist ein ruhiges Kind, beschäftigt sich mit Bauklötzen und Bilderbüchern usw. (…) Sie spricht alles und singt auch gern. Sie kann sich nicht anziehen, ist in ihren Bewegungen gehemmt. Sie isst allein, braucht sonst in allem Hilfe. Zur Toilette geht sie allein.«
    Am 29. November 1943 ermordete die 29-jährige Ärztin Marianne Türk das Kind Heidi Grube. Die Mutter Erna erfuhr davon erst am 12. Januar 1944, als das Weihnachtspaket für ihre Tochter zurückkam – versehen mit dem Vermerk »gestorben«. Erna Grube telegrafierte sofort: »Wann ist meine Tochter Heidi eingeschlafen? Warum habe ich als Mutter noch keine Nachricht? Bitte sofort um Antwort.« Nachdem sie keine Antwort erhielt, schrieb sie vier Tage später an die Anstalt, berichtete von dem zurückgeschickten Paket und fuhr fort: »Wie das auf eine Mutter wirkt, werden Sie nicht ahnen. Ich bitte Sie nun, mir mitzuteilen, wann und woran meine Tochter gestorben ist. Lag es an ihrem ganzen Zustand oder kam noch etwas hinzu? Wie und wo ist sie beerdigt? Besteht noch eine Möglichkeit, die sterblichen Reste, vielleicht Asche, nach hier zu bekommen? Wir haben Heidi leider wegen unserer zwei anderen Kinder, die gesund sind, nicht zu Hause haben können, haben aber immer die feste Absicht gehabt, sie einmal hier bei uns schlafen zu lassen und ihr Grab schön mit bunten Blumen, die sie so liebte, zu pflegen. In Alsterdorf konnten wir von der Familie sie jeden zweiten Sonntag besuchen und uns über das Befinden erkundigen.« [189]  
    Die Zusammenarbeit zwischen dem Kaiser-Wilhelm-Institut (KWI) für Hirnforschung in Berlin-Buch und der Anstalt Brandenburg-Görden soll genauer nachgezeichnet werden. Im Jahr 1937 berief Hugo Spatz, der Direktor des KWI, Julius Hallervorden als Abteilungsleiter für Hirnhistopathologie nach Buch. Bis dahin hatte Hallervorden als Pathologe und Oberarzt bei Heinze in Brandenburg-Görden gearbeitet. Nach seinem Wechsel behielt er die Prosektur dort bei und bezeichnete sie hinfort als Außenstelle des KWI für Hirnforschung. Ebenfalls 1939 ließ die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft Anstaltsdirektor Heinze die ungewöhnliche Ehre eines Sitzes im Kuratorium ihres Instituts für Hirnforschung angedeihen; gleichzeitig trat Max de Crinis, die graue Eminenz der Aktion T4, dem Gremium bei.

Die Max-Planck-Gesellschaft und Hallervorden
    Von Ende 1942 an wurden dem Kaiser-Wilhelm-Institut für Hirnforschung selbst Kinder zugewiesen, die der Reichsausschuss zum Tode bestimmt hatte. Am 21. November 1942 berichtete Wentzler an die Kanzlei des Führers: »Fräulein Dr. Soeken hat sich gestern mir gegenüber grundsätzlich zu einer Mitarbeit im Reichsausschuss bereit erklärt und kommt morgen zwecks einer ausführlichen informatorischen Besprechung zu mir.« [190]   Gertrud Soeken war Oberärztin im Hirnforschungsinstitut, ihre Tätigkeit beschrieb Direktor Spatz 1953 zurückblickend: »Endlich besaß das Institut eine eigene Klinik (unter Leitung von G. Soeken), die der Pflege und der

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