Die Berechnung der Zukunft: Warum die meisten Prognosen falsch sind und manche trotzdem zutreffen - Der New York Times Bestseller (German Edition)
und Poker, in denen man so gut wie alles zumindest einmal erlebt. Wer gut pokert, hat auch dann und wann einen Royal Flush auf der Hand. Und wer weiter pokert, macht die Erfahrung, dass – wenn er selbst ein Full House hat – der Gegner einen Royal Flush auf den Tisch legt. Sport, insbesondere Baseball, ist auch ein Bereich, der eine Vielzahl von Unwahrscheinlichkeiten bereithält. Die Boston Red Sox schafften es 2011 nicht ins Play-off, obwohl ihre Chance dazu zeitweilig 99,7 Prozent betrug 27 – ich würde jedoch jedem recht geben, der behauptet, dass die normalen Gesetze der Wahrscheinlichkeit nicht gelten, was die Red Sox oder die Chicago Cubs betrifft.
Politiker und Politologen finden diesen Mangel an Klarheit jedoch ärgerlich. 2010 rief mich ein demokratisches Kongressmitglied einige Wochen vor der Wahl an. Er kandidierte für einen sicheren Wahlkreis an der Westküste. Da die Republikaner in diesem Jahr jedoch erfolgreich waren, fürchtete er, sein Mandat zu verlieren. Er wollte wissen, wie unsicher genau die Prognosen waren. Unsere Zahlen räumten ihm praktisch eine 100-prozentige Gewinnchance ein – als Näherungswert. Bedeuteten aber 100 Prozent in Wirklichkeit 99 Prozent oder 99,99 Prozent oder 99,9999 Prozent? Im letzteren Fall, also bei einer Niederlagewahrscheinlichkeit von 1 zu 100 000, sei er bereit, sein Wahlkampfbudget Kandidaten in weniger sicheren Wahlkreisen zur Verfügung zu stellen. Er war jedoch nicht bereit, sich auf ein Risiko von 1 zu 100 einzulassen.
Politiker missverstehen möglicherweise die Bedeutung der Unsicherheit in einer Prognose und halten sie für eine Absicherung gegen eine mögliche Fehlprognose. Darum geht es aber nicht. Wenn man vorhersagt, dass ein Kongressmitglied in 90 Prozent der Fälle die Wiederwahl gewinnt, dann sagt man auch voraus, dass er sie in 10 Prozent der Fälle verliert. 28 Eine gute Prognose zeichnet aus, dass jede dieser Wahrscheinlichkeiten langfristig in etwa zutrifft.
Tetlocks Igel hatten besonders große Mühe, diese Wahrscheinlichkeiten zu verstehen. Die Aussage einer 90-prozentigen Wahrscheinlichkeit hat eine sehr exakte und objektive Bedeutung. Unser Gehirn verwandelt diese jedoch in etwas Subjektives. Studien von Daniel Kahneman und Amos Tversky legen nahe, dass subjektive Schätzungen nicht immer etwas mit der Wirklichkeit zu tun haben. Wir haben Mühe, eine 90-prozentige Chance einer sicheren Flugzeuglandung von einer 99-prozentigen oder einer 99,9999-prozentigen zu unterscheiden, obwohl dieser Unterschied unsere Entscheidung, ob wir ein Ticket kaufen oder nicht, durchaus beeinflussen sollte.
Vorsprünge
zeitlicher Abstand zur Wahl
1 Prozentpunkt
5 Prozentpunkte
10 Prozentpunkte
20 Prozentpunkte
ein Tag
64%
95%
99,7%
99,999%
eine Woche
60%
89%
98%
99,97%
ein Monat
57%
81%
95%
99,7%
drei Monate
55%
72%
87%
98%
sechs Monate
53%
66%
79%
93%
ein Jahr
52%
59%
67%
81%
Abbildung 2-4: Der Vorsprung eines Senatskandidaten bei den Meinungsumfragen und die daraus errechnete Wahrscheinlichkeit eines Sieges
Durch Übung werden unsere Schätzungen besser. Was Tetlocks Igel auszeichnete, war ihre Sturheit. Sie lernten nicht aus ihren Fehlern. Wenn sie die Unsicherheiten der Welt in ihren Prognosen akzeptieren würden, dann müssten sie anerkennen, dass ihre Theorien über den Verlauf der Welt unvollkommen sind – und das ist das Letzte, was ein Ideologe will.
2. Prinzip: Die heutige Prognose ist die erste Prognose des Rests deines weiteren Lebens
Ein weiteres Missverständnis ist, dass eine gute Prognose unveränderlich sein sollte. Klar, wenn Prognosen von einem Tag zum nächsten wild hin und her eiern, ist das kein gutes Zeichen. Entweder liegt ihnen ein schlecht entworfenes Modell zugrunde, oder die Entwicklung, die vorhergesagt werden soll, lässt gar keine Prognosen zu. 2012, als ich Prognosen für die Vorwahlen der Republikaner für jeden Bundesstaat veröffentlichte, und zwar einzig und allein auf Basis der Umfragewerte, veränderten sich die Wahrscheinlichkeiten oft recht drastisch und die Umfragewerte ebenfalls.
Wenn ein Ergebnis eher vorhersehbar ist wie bei einer Präsidentschaftswahl kurz vor der Abstimmung, dann sind die Prognosen normalerweise stabiler. Der häufigste Kommentar, den ich von Demokraten nach der Wahl 2008 erhielt, war, dass sie den FiveThirty Eight-Blog zur Beruhigung gelesen hätten (begreiflicherweise sagte keiner der Demokraten etwas Ähnliches nach dem Wahlkampf 2010, da unsere Modelle zeigten, dass sie große
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