Die Berechnung der Zukunft: Warum die meisten Prognosen falsch sind und manche trotzdem zutreffen - Der New York Times Bestseller (German Edition)
Informationen können immer ignoriert werden, falls sie nicht hilfreich wirken. Igel verfangen sich häufig in diesem Dornengestrüpp.
Man muss sich nur die Befragung der »Political Insiders« des National Journal ansehen, eine Befragung von 180 Politikern, politischen Beratern, Meinungsforschern und Experten. In dieser Befragung wird zwischen Parteigängern der Demokraten und der Republikaner unterschieden, beide Gruppen erhalten jedoch dieselben Fragen. Unabhängig von ihrer politischen Überzeugung ist folgende Gruppe den Igeln zuzurechnen: Politiker, die auf ausgefochtene Schlachten stolz sind und sich in einem immerwährenden Kampf gefangen sehen.
Ein paar Tage vor den Halbzeitwahlen 2010 fragte das National Journal die Experten, ob die Demokraten die Kontrolle sowohl über das Repräsentantenhaus als auch über den Senat behalten würden. 21 Fast alle waren sich in diesen Fragen einig: Die Demokraten würden die Mehrheit im Senat behalten, im Repräsentantenhaus jedoch verlieren (die Experten behielten in beiden Fällen recht). Sowohl die demokratischen als auch die republikanischen Insider waren sich außerdem hinsichtlich des republikanischen Zugewinns im Repräsentantenhaus einig. Die demokratischen Experten rechneten mit 47 Sitzen, die republikanischen mit 53, ein belangloser Unterschied bei einer Gesamtzahl von 435 Sitzen.
Das National Journal hatte seine Experten jedoch auch um Prognosen bezüglich elf verschiedener Wahlen aufgefordert, die sowohl den Senat, das Repräsentantenhaus als auch Gouverneursposten betrafen. Hier ergaben sich größere Unterschiede. Die Voraussagen divergierten hinsichtlich der Senatswahlen in Nevada, Illinois und Pennsylvania, der Gouverneurswahl in Florida und einer wichtigen Repräsentantenhaus-Wahl in Iowa. Die Republikaner erwarteten, dass die Demokraten nur eine dieser Wahlen gewinnen würden, während die Demokraten ihnen in sechs Fällen Gewinnchancen einräumten. (Das tatsächliche Ergebnis befand sich, wie zu erwarten, irgendwo in der Mitte – die Demokraten gewannen drei der elf betreffenden Wahlen. 22 )
Ganz offensichtlich spielt Parteilichkeit hier eine Rolle: Sowohl Demokraten als auch Republikaner setzten auf den Sieg ihrer eigenen Mannschaft. Das allein erklärt jedoch nicht die konsequent unterschiedlichen Prognosen. Allgemeiner formulierte Fragen über das Abschneiden der Republikaner ergaben keine nennenswerten Unterschiede. Detailliertere Fragen wurden jedoch markant unterschiedlich beantwortet, und die Parteilichkeit trat an die Oberfläche. 23
Zu viel Information behindert einen Igel. Die Frage, mit welcher Stimmenmehrheit die Republikaner gewinnen würden, ist recht abstrakt. Sofern man nicht alle 435 Wahlen untersucht hatte, gab es kaum zusätzliche Einzelheiten, die ihre Beantwortung erleichtert hätten. Aber wenn sie zu einer bestimmten Wahl befragt wurden, beispielsweise einer Senatorenwahl in Nevada, dann konnten die Experten auf alle möglichen Informationen zurückgreifen. Nicht nur auf lokale Umfragewerte, sondern auch auf Wahlkampfreportagen, Klatsch von Freunden oder ihren eigenen Eindruck der Kandidaten aus dem Fernsehen. Vielleicht kannten sie die Kandidaten oder Leute, die für sie arbeiteten, sogar persönlich.
Igel, die über viel Information verfügen, konstruieren Geschichten, die sinniger sind als die Wirklichkeit, mit Gewinnern und Verlierern, Heiligen und Schurken, Höhepunkten und einer logischen Auflösung und in der Regel auch einem Happy End für die eigene Mannschaft. Die Kandidatin, deren Umfragewerte 10 Prozent unter denen ihres Gegners liegen, wird gewinnen, verdammt nochmal, weil ich sie kenne und weil ich die Wähler in dem Bundesstaat kenne. Vielleicht habe ich ja auch von ihrer Pressesprecherin erfahren, dass sich ihre Umfragewerte den gegnerischem annähern – und haben Sie überhaupt schon ihren letzten Werbespot gesehen?
Während wir solche Überlegungen anstellten, kommt uns die Fähigkeit abhanden, kritisch über die Informationen nachzudenken. Im Wahlkampf werden häufig mitreißende Storys präsentiert. Wie auch immer man über die Politik Barack Obamas, Sarah Palins, John McCains oder Hillary Clintons im Jahr 2008 dachte, sie lieferten jedenfalls überzeugende Lebensgeschichten. Reportagebücher über den Wahlkampf wie Game Change lesen sich wie Bestseller. Die Kandidaten, die 2012 antraten, waren nicht ganz so ansprechend, gaben aber trotzdem genug her, um alle gängigen Klischees von der Tragödie (Herman
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