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Die Berechnung der Zukunft: Warum die meisten Prognosen falsch sind und manche trotzdem zutreffen - Der New York Times Bestseller (German Edition)

Die Berechnung der Zukunft: Warum die meisten Prognosen falsch sind und manche trotzdem zutreffen - Der New York Times Bestseller (German Edition)

Titel: Die Berechnung der Zukunft: Warum die meisten Prognosen falsch sind und manche trotzdem zutreffen - Der New York Times Bestseller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nate Silver
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eingeschätzt, was hieß, dass man Kapanke nur geringe Gewinnchancen eingeräumt hatte, erwogen aber jetzt, die Chancen der Demokraten auf »lean-Democrat« (nur ein ganz leichtes Übergewicht für die Demokraten) herunterzustufen.
    Kapanke, der in Wisconsin Senator war und ein Geschäft für landwirtschaftlichen Bedarf betrieb, besaß das etwas ruppige Auftreten eines Highschool-Sportlehrers und hatte außerdem einen breiten Wisconsin-Dialekt. Wenn er über die La Crosse Loggers sprach, die Minor-League-Baseballmannschaft, die ihm gehört, war nicht recht klar, ob er von »logger« (Holzfäller) oder »lager« (wie in Lagerbier) redete, was beides für einen Verein aus Wisconsin durchaus angemessen gewesen wäre. Gleichzeitig glich seine Unverblümtheit seinen möglicherweise mangelnden Charme aus. In seinem Wahlkreis hatte er wiederholt den Senatssitz erobert, obwohl man in dieser Gegend sonst die Demokraten wählte. 39
    Wasserman geht an die Interviews heran wie ein Pokerspieler. Mit unergründlicher Miene und untadeliger Professionalität versucht er, die Kandidaten subtil unter Druck zu setzen, um ihnen möglichst viele Informationen zu entlocken.
    »Meine grundlegende Taktik ist es«, erläuterte er mir, »bereits zu Beginn des Interviews eine angenehme und freundliche Beziehung zu dem Kandidaten herzustellen, indem ich ihn ganz allgemein über seinen Hintergrund ausfrage. Dann versuche ich, ihm detailliertere Fragen zu stellen. Nennen Sie ein Thema, in dem Ihre Meinung von der Parteilinie abweicht . Es geht nicht so sehr darum, ihnen irgendwelche Geheimnisse zu entlocken, als vielmehr ein Gefühl für ihren Stil und ihren Denkansatz zu entwickeln.«
    Seine Befragung Kapankes folgte diesem Muster. Wasserman kennt sich in der politischen Landschaft so gut aus, dass sich Kapanke bereitwillig über die Schwierigkeiten seines Wahlkreises mit ihm unterhielt, über die Frage, wie viele Stimmen er in La Crosse gewinnen müsse, um Verluste in Eau Claire auszugleichen. Dann stolperte er über eine Reihe von Fragen zu dem Vorwurf, er hätte sich von örtlichen Lobbyisten eine neue Flutlichtanlage für das Stadion der Loggers bezahlen lassen. 40
    Das war alles eher harmlos, schließlich ging es nicht um Ehebruch oder Steuerhinterziehung. Es genügte jedoch, dass Wasserman an seiner ursprünglichen Bewertung festhielt. 41 In der Tat unterlag Kapanke im November mit 9500 Stimmen, obwohl die meisten Republikaner in ähnlichen Wahlkreisen im Mittleren Westen ihre Sitze behielten.
    Dies geschieht tatsächlich häufiger. Wasserman behält nach der Befragung seine Einschätzung bei. Er strengt sich zwar sehr an, um von den Kandidaten Neues zu erfahren, das dann aber doch nicht bedeutungsvoll genug ist, um seine erste Einschätzung der Wahl zu ändern.
    Wassermans Herangehensweise funktioniert, weil er seine Informationen bewertet, ohne sich von dem ihm gegenübersitzenden Kandidaten blenden zu lassen. Viele nicht so befähigte Analytiker würden sich umgarnen, belügen und beeinflussen lassen und sich hoffnungslos in den Behauptungen des Wahlkampfs verstricken. Oder sie würden sich in ihrer eigenen Rolle als Interviewer so gefallen, dass sie darüber alles, was sonst für diese Abstimmung wichtig ist, aus den Augen verlören.
    Wasserman sieht die Dinge jedoch in einem größeren politischen Kontext. Ein ausgezeichneter Kandidat der Demokraten, der das Interview sehr überzeugend absolviert, hat trotzdem keine Chance, wenn er in einem Wahlkreis antritt, den die Republikaner immer mit einer 20-Prozent-Mehrheit gewinnen.
    Warum macht er sich dann überhaupt die Mühe, den Kandidaten zu befragen? In der Regel hält Wasserman nach Warnsignalen Ausschau – wie damals, als das Kongressmitglied der Demokraten Eric Massa (der später nach Vorwürfen, einen Mitarbeiter sexuell belästigt zu haben, unvermittelt zurücktrat) ihn fragte, wie alt er sei. Der Psychologe Paul Meehl nennt solche Situationen »Beinbruchfallen«, »broken leg cases«, und meint damit Situationen, in denen etwas derart auffällig ist, dass es dumm wäre, es nicht zu berücksichtigen. 42
    Jedes Jahr entdeckt Wasserman ein paar dieser Warnsignale, die es ihm ermöglichen, noch mehr zutreffende Prognosen zu stellen. Er ist in der Lage, die bei den Interviews gewonnenen Informationen zu bewerten, ohne sie überzubewerten, was seine Prognose verschlechtern würde. Es ist nicht wichtig, ob Informationen qualitativer oder quantitativer Art sind, es kommt darauf an, wie

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