Die Berechnung der Zukunft: Warum die meisten Prognosen falsch sind und manche trotzdem zutreffen - Der New York Times Bestseller (German Edition)
Öffentlichkeit nie erfahren hat.«
Wenn Hunderte von Leuten versuchen, eine Prognose zu stellen, und es jährlich Hunderte von Erdbeben gibt, dann wird der eine oder andere zweifellos recht behalten. Giulianis Theorien über Radon und Mondzyklen waren schon mehrmals von anerkannten Seismologen geprüft und für die Erdbebenprognose für wenig oder vollkommen ungeeignet befunden worden. 15 Giuliani hatte einfach Glück gehabt.
Houghs Büro beim USGS befindet sich in einem ruhigen Winkel des Caltech-Campus, in dem es mehr Eukalyptusbäume gibt als Studenten. Sie war etwas übermüdet, weil sie gerade aus der Türkei zurückgekehrt war, wo sie Erdbebenverwerfungen untersucht hatte. Sie hat ein freundliches Gesicht und Kraushaar, ihre dunklen Augen funkelten skeptisch. »Und was machen Sie hauptberuflich?«, fragte sie mich.
Wenig später nahm sie einen Taschenglobus von ihrem Schreibtisch, der so aussah, als hätte sie ihn in einem Flughafen-Souvenirladen gekauft. Vom Japanischen Meer beschrieb sie mit dem Zeigefinger eine Linie in ost-südöstlicher Richtung.
»An diesem Gürtel vom südlichen China bis nach Griechenland ereignen sich die zerstörerischsten Erdbeben der Welt«, erklärte mir Susan Hough. »Es handelt sich um eine komplizierte Erdbebenzone mit vielen instabilen Gebäuden. Wenn die Stadt Teheran von einem Beben betroffen wäre, könnte das eine Million Menschen das Leben kosten.«
Fast alle verheerenden Erdbeben in der modernen Geschichte (Abb. 5-1) sind an der von Hough beschriebenen Verwerfung aufgetreten; sie führt von der Wiege der Zivilisation im Mittleren Osten durch einige der am dichtesten besiedelten Gebiete der Erde einschließlich Chinas und Indiens. Viele Menschen in diesen Regionen sind sehr arm und können sich den Luxus nicht leisten, sich auf eine Katastrophe vorzubereiten, die alle 300 Jahre eintritt. Die Zahl der Opfer eines Bebens kann jedoch enorm hoch sein, Hunderttausende könnten sterben. (Das Beben auf Haiti 2010 war geografisch gesehen eine Ausnahme, aber nicht im Hinblick auf die Armut und die schlechte Qualität der Gebäude, die zu der großen Zahl der Todesopfer und der immensen Zerstörung beitrugen.)
Abbildung 5-1: Verheerende Erdbeben seit 1900
Erdbeben töten mehr Menschen als Hurrikane, 16 obwohl sie seltener zu sein scheinen. 17 Vielleicht liegt es ja daran, dass sie nur so selten zutreffend vorhergesagt werden. Die Landberührung eines Hurrikans kann heute dreimal genauer prognostiziert werden als noch vor 25 Jahren. Die Erdbebenprognose scheint sich seit dem 19. Jahrhundert kaum weiterentwickelt zu haben. Damals behaupteten die Japaner als Erste, aus dem Verhalten von Welsen ein kommendes Beben vorhersagen zu können. 18 (Kühe, Schweine, Aale, Ratten, Sittiche, Schildkröten, Goldfische und Schlangen sollen sich vor Beben ebenfalls auffällig verhalten.)
Spinner wie Giuliani werden immer noch ernst genommen, und zwar nicht nur von der italienischen Boulevardpresse. 19 Der Californian Earthquake Prediction Council erhält jährlich Hunderte von Warnungen, wobei die meisten von dem seltsamen Verhalten von Haustieren, von Eingebungen, den schmerzenden Hühneraugen Tante Agathas und anderen rätselhaften Omen handeln, mit denen Wissenschaftler einfach nichts anfangen können. 20 Einiges, was in wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht wird, lässt sich jedoch auch nur mit Mühe von japanischem Aberglauben unterscheiden. In einem Aufsatz im angesehenen Journal of Zoology im Jahr 2010 hieß es, 21 die Kröten in einem etwa 100 Kilometer von L’Aquila entfernten Teich hätten fünf Tage vor dem Beben aufgehört zu laichen. 22 Bemerkenswerterweise wurde das als eine zuverlässige Erdbebenprognose ausgegeben.
Diese Art von Forschung ruft bei Hough große Müdigkeit hervor. »Denkt man zurück, insbesondere an die 1970er-Jahre, so waren die Leute optimistisch und voller verrückter Ideen. Nach zehn Jahren hatten sich diese Ideen als Unsinn erwiesen. Dann gab es aber schon die nächsten Ideen, die sich weitere zehn Jahre später auch als Unsinn erwiesen. Das ist fast so etwas wie ein durchgängiges Thema. Heutzutage sind die meisten Top-Wissenschaftler zu klug, um noch einem Heiligen Gral hinterherzujagen, den es wahrscheinlich gar nicht gibt.«
Giulianis Begegnungen mit der Venus oder die Kröten kann man getrost abtun – aber gibt es wirklich keine Methode, ein Erdbeben vorherzusagen? Was ist mit den Vorbeben, die L’Aquila heimsuchten? Ereigneten sie
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