Die Berechnung der Zukunft: Warum die meisten Prognosen falsch sind und manche trotzdem zutreffen - Der New York Times Bestseller (German Edition)
sich rein zufällig? Die Seismologen haben den Ruf, sehr konservativ zu sein. Es dauerte beispielsweise sehr lange, bis sie die Theorie der Plattentektonik, inzwischen allgemein gängiges Gedankengut, akzeptierten, 23 wonach die Bewegungen der Kontinentalplatten die Hauptursache von Erdbeben sind. Diese Theorie wurde erst 1960 anerkannt, obwohl sie bereits 1912 erstmals vorgestellt wurde. War Houghs Skepsis etwa in Zynismus umgeschlagen?
Die offizielle Position des USGS ist sogar noch deutlicher: Erdbeben lassen sich nicht vorhersagen. »Weder der USGS noch das Caltech noch irgendein anderer Wissenschaftler hat je ein größeres Erdbeben vorhergesagt«, kann man auf der Homepage des USGS nachlesen. 24 »Niemand weiß, wie, und man wird es auch in absehbarer Zukunft nicht wissen.«
Erdbeben lassen sich also nicht prognostizieren? Dies ist zwar ein Buch über Prognosen, und kein Buch, das Prognosen aufstellt, trotzdem wage ich es, Folgendes zu behaupten: Ich prognostiziere, dass es nächstes Jahr mehr Erdbeben in Japan als in New Jersey gibt. Ich sage ebenfalls voraus, dass sich in den nächsten hundert Jahren irgendwo in Kalifornien ein größeres Erdbeben ereignen wird. 25
Der USGS und ich geben uns semantischen Spielen hin. Die Begriffe »prediction« (Vorhersage) und »forecast« (Prognose) werden in verschiedenen Bereichen unterschiedlich angewendet. Manchmal sind sie austauschbar, aber in manchen Fachsprachen bestehen Bedeutungsunterschiede. Auf dem Gebiet der Seismologie ist die Unterscheidung besonders wichtig. Wenn Sie sich mit einem Seismologen unterhalten, gilt Folgendes:
1. Eine Vorhersage gibt genau an, wo und wann ein Erdbeben auftritt. Ein größeres Erdbeben wird Kyoto am 28. Juni heimsuchen.
2. Eine Prognose bezieht sich jedoch auf eine Wahrscheinlichkeit über einen längeren Zeitraum. In den nächsten 30 Jahren beträgt die Wahrscheinlichkeit eines Erdbebens in Kalifornien 60 Prozent.
Die offizielle Position des USGS ist, dass sich Erdbeben nicht vorhersagen lassen. Sie lassen sich jedoch prognostizieren .
Was wir über das Verhalten von Erdbeben wissen
Bei genauerem Hinsehen bietet die USGS-Homepage eine Vielzahl von Werkzeugen für die Erdbebenprognose. Eine besonders hübsche Applikation liefert nach Eingabe des Längen- und Breitengrades die langfristige Wahrscheinlichkeit eines Erdbebens an diesem Ort. 26 Abbildung 5-2 zeigt die Wahrscheinlichkeit von Erdbeben in verschiedenen größeren Städten der USA.
Es ist allgemein bekannt, dass Kalifornien seismisch hochaktiv ist. Der USGS schätzt, dass ein Beben der Stärke 6,8 oder höher San Francisco einmal alle 35 Jahre heimsuchen wird. Einige werden auch wissen, dass Alaska eine hohe Erdbebenfrequenz aufweist, das zweitstärkste Beben der Magnitude 9,4 seit Beginn der Aufzeichnungen ereilte Anchorage 1964.
Aber haben Sie schon einmal von Charleston in South Carolina gehört? Hier bebt es ebenfalls. 1886 kam es zu einem Erdbeben der Stärke 7,3. Der USGS schätzt, dass es dort alle 600 Jahre zu einem großen Beben kommt. Falls Sie jedoch in Seattle wohnen, dann sollten Sie sich auf diese Eventualität schon einmal vorbereiten: »Hier sind Erdbeben viel wahrscheinlicher als in anderen Gebieten Kaliforniens«, sagt der USGS. Lebt man in Denver, dann kommt man jedoch ohne einen Notfallplan aus, diese Stadt befindet sich in sicherem Abstand von allen Verwerfungen.
Für eine Behörde, die behauptete, dass keine Vorhersagen möglich seien, ist das eine Menge sehr spezifischer und benutzerfreundlicher Information. Die USGS-Prognosen bedienen sich eines weithin anerkannten Werkzeugs, das »Gutenberg-Richter-Gesetz« heißt. Es wurde 1944 von Charles Richter und seinem Caltech-Kollegen Beno Gutenberg entwickelt und aus empirischen Erdbebenstatistiken abgeleitet. Es postuliert ein Verhältnis zwischen Stärke und Häufigkeit von Erdbeben.
Wenn man die Häufigkeit von Beben mit ihrer Stärke vergleicht, dann lässt sich feststellen, dass ihre Anzahl exponentiell zur zunehmenden Stärke abnimmt. Es gibt nur wenige katastrophale Beben, aber alljährlich buchstäblich Millionen von kleineren auf der ganzen Welt, etwa 1,3 Millionen mit einer Stärke zwischen 2,0 und 2,9. 27 Die meisten dieser Beben bemerkt niemand, ganz bestimmt kein Mensch und oft auch kein Seismometer. 28 Alle Beben über 4,5 werden heutzutage aufgezeichnet, gleichgültig wo sie auftreten. Abbildung 5-3a zeigt das exponentielle Abnehmen ihrer Häufigkeit und bezieht sich auf
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