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Die Berechnung der Zukunft: Warum die meisten Prognosen falsch sind und manche trotzdem zutreffen - Der New York Times Bestseller (German Edition)

Die Berechnung der Zukunft: Warum die meisten Prognosen falsch sind und manche trotzdem zutreffen - Der New York Times Bestseller (German Edition)

Titel: Die Berechnung der Zukunft: Warum die meisten Prognosen falsch sind und manche trotzdem zutreffen - Der New York Times Bestseller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nate Silver
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Forschungsliteratur nur noch weiter zu.
    Die Methode der Frequentisten ist auch nicht sonderlich objektiv, weder in der Theorie noch in der Praxis. Stattdessen geht sie von einer ganzen Reihe von Annahmen aus wie jener, dass die zugrunde liegende Unsicherheit der Gauß’schen Glockenkurve (d. h. der Normalverteilung) folgt. Das ist oft eine gute Annahme, aber nicht bei Börsenschwankungen. Der Ansatz der Frequentisten wählt einen repräsentativen Ausschnitt der Bevölkerung. Das ist relativ einfach, wenn es um Demoskopie geht, bei vielen anderen Anwendungen ist das aber eher willkürlich. Auf welchen »repräsentativen Ausschnitt der Bevölkerung« bezog sich der Angriff vom 11. September?
    Das größere Problem besteht jedoch darin, dass sich die Methode der Frequentisten, indem sie nach einer einwandfreien statistischen Vorgehensweise strebt, die durch das Bias des Meinungsforschers nicht kontaminiert werden kann, hermetisch von der Wirklichkeit abschirmt. Diese Methoden ermutigen die Forscher, vom Kontext oder der Plausibilität ihrer Hypothese abzusehen, was die Bayes’sche Methode in Form der A-priori-Wahrscheinlichkeit erfordert. Aber das hat dann scheinbar seriöse Studien zur Folge, die davon handeln, dass Kröten Erdbeben vorhersehen können 50 oder dass Großmärkte wie Target zu Rassismus führen. 51 Beide Studien verwenden auf Frequentismus basierende Tests, um zu statistisch »signifikanten«, aber ganz offensichtlich lächerlichen Ergebnissen zu gelangen.

Strategie versus Taktik
    Schachcomputer tun gewissermaßen beides: Sie nutzen die Heuristik, um ihre gedanklichen Verästelungen zurückzuschneiden, und konzentrieren ihre Rechenleistung auf die vielversprechenderen Äste, statt jedem gleich weit nachzugehen. Weil sie so viel schneller arbeiten als ein Mensch, müssen sie nicht so viele Kompromisse eingehen. Sie erforschen alle Möglichkeiten ein wenig und die vielversprechenden etwas genauer.
    Schachprogramme können nicht immer einen Überblick verschaffen und strategisch denken. Sie eignen sich sehr gut dazu, eine Taktik zu entwickeln, um ein kurzfristiges Ziel zu erreichen, sind aber weniger fähig zu entscheiden, welches dieser Ziele aufs Ganze gesehen zum Sieg führen könnte.
    Kasparow versuchte, den toten Winkel der Deep-Blue-Heuristik auszunutzen, indem er den Computer dazu verleitete, Pläne zu verfolgen, die seine strategische Position schwächten. Schachprogramme ziehen oft kurzfristige Ziele, die sich quantifizieren lassen und bei denen das Schachbrett nicht als holistischer Organismus bewertet werden muss, vor. Ein klassisches Beispiel für das Bias des Computers ist seine Bereitschaft, Opfer zu akzeptieren. Er ist oft fügsam, wenn ein starker Gegner willens ist, eine wertvollere Figur gegen eine schwächere einzutauschen.
    Die Faustregel: »Lass dich auf einen Abtausch ein, wenn dein Gegner eine wertvollere Figur opfert«, ist in der Regel sinnvoll, aber nicht unbedingt, wenn ein Gegner wie Kasparow bereitwillig etwas verschenkt. Er weiß, dass der taktische Verlust durch einen strategischen Gewinn ausgeglichen wird. Kasparow bot Deep Blue einen solchen Abtausch nach dreißig Zügen der ersten Partie an; er bot an, einen Turm für einen Läufer zu opfern (Türme gelten in der Einschätzung von Computern – und Menschen – als 60 Prozent wertvoller als Läufer). Befriedigt durfte er feststellen, dass Deep Blue darauf einging. Die daraus resultierende Stellung ist in der Abbildung 9-3a zu sehen. Sie illustriert einige tote Winkel, die auf das mangelhafte strategische Denkvermögen des Computers zurückzuführen sind.

    Abbildung 9-3a: Die Stellung nach Kasparows 32. Zug in Partie 1
    Kasparow und Deep Blue hatten beide eine eigene Methode, um die auf Abbildung 9-3a gezeigte Stellung zu vereinfachen. Computer zerlegen komplizierte Probleme in eigenständige Elemente. Deep Blue beispielsweise könnte die Stellung eher so gesehen haben, wie sie in Abbildung 9-3b gezeigt wird; hier wird jeder Figur ein bestimmter Wert beigemessen. Wenn man die Punkte addiert, lag Deep Blue mit einem Bauern vorn, was sich in der Regel in Matt oder Remis übersetzen lässt. 28

    Abbildung 9-3b: Bewertung der Stellung
    Menschen können sich besser auf die wichtigsten Elemente konzentrieren und das strategische Ganze sehen, das manchmal aus mehr als nur der Summe seiner Teile besteht. Kasparow sah die Stellung eher gemäß Abbildung 9-3c, die überaus vielversprechend war. Drei seiner Bauern bewegten sich

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