Die Berechnung der Zukunft: Warum die meisten Prognosen falsch sind und manche trotzdem zutreffen - Der New York Times Bestseller (German Edition)
fensterloser Büros etwas antiquiert. Viele berühmte Wissenschaftler haben hier gearbeitet, wie der Mathematiker und Nobelpreisträger in Wirtschaftswissenschaften und Physik, Benoît Mandelbrot.
Im Frühjahr 2010 traf ich mich im Watson Center mit Murray Campbell, einem freundlichen, jungenhaften Kanadier, der seit der Zeit von Deep Thought an der Carnegie Mellon University Chefingenieur des Projekts war. (Heute ist er Chef des Statistical Modeling Department von IBM.) In Campbells Büro hängt ein großes Poster von Kasparow, der das Schachbrett drohend anstarrt. Darunter steht:
Wie bringt man einen Computer zum Absturz?
Kasparow gegen Deep Blue
3. bis 11. Mai 1997
Schlussendlich stürzte Kasparow ab und nicht Deep Blue, und zwar nicht aus einem Grund, den Campbell und sein Team vorhergesehen hatten.
Deep Blue war entwickelt worden, um Kasparow und sonst niemanden zu schlagen. Das Team hatte versucht, Kasparows Eröffnungen vorherzusehen und eine starke Abwehr gegen diese zu entwickeln. (Kasparow umging diese Falle, indem er eine von ihm bislang nur selten verwendete Eröffnung wählte.) Anlässlich seiner mäßigen Leistung gegen Kasparow im Jahr zuvor und bei Übungspartien gegen ähnlich starke Spieler hatte das Team die Prozessorleistung von Deep Blue verdoppelt und seine Strategien verfeinert. 44 Campbell wusste, dass sich Deep Blue eingehender und vielleicht auch selektiver mit dem Suchbaum auseinandersetzen musste, um es mit Kasparows strategischem Denken aufnehmen zu können. Gleichzeitig wurde das System mit einer gewissen Vorliebe für komplizierte Stellungen konzipiert.
»Komplexe Stellungen mit vielen Figuren auf dem Brett begünstigen den Computer, weil dann viele Züge möglich sind«, erläuterte Campbell. »Wir bevorzugen Stellungen, bei denen Taktik wichtiger ist als Strategie. Einfache Maßnahmen können diese herbeiführen.«
In diesem Sinn war Deep Blue »menschlicher« als jeder Schachcomputer vor und nach ihm. Obwohl die Spieltheorie für das Schachspiel keine so große Rolle spielt wie für Spiele mit unvollständigen Informationen wie Poker, stellt die Eröffnung eine mögliche Ausnahme dar. Ein etwas schlechterer Zug, um den Gegner zu verwirren, kann Monate seiner Vorbereitung zunichtemachen oder auch Monate der eigenen, falls der Gegner diesen zu parieren weiß. Aber die meisten Computer versuchen, »perfekt« zu spielen, statt ihr Spiel zu variieren, um sich dem Gegner anzupassen. Deep Blue hingegen verhielt sich wie die meisten menschlichen Schachspieler und wählte Stellungen, von denen Campbell annahm, dass sie ihm Vorteile bringen würden.
Charakteristikum oder Bug?
Kasparows Fähigkeiten waren 1997 immer noch überlegen. Es ging darum, Deep Blue so zu programmieren, dass er gewinnen konnte.
Theoretisch ist es leicht, einen Computer fürs Schachspielen zu programmieren: Wenn man die Suchalgorithmen eines Schachprogramms unendlich lange laufen lässt, dann lassen sich alle 10 10 hoch 50 Stellungen mit roher Rechengewalt auflösen. »Es gibt einen Algorithmus für alle Schachprobleme«, sagt Campbell. »Ich könnte es in einem halben Tag schreiben, dieses Programm, das alle Probleme löst, wenn man es nur lange genug laufen lässt. Leider würde das ein Leben lang dauern.«
Wenn man einem Computer beibringen will, wie er einen Weltmeister schlägt, muss man es ganz banal einfach ausprobieren. Verbessert die Konzentration auf das Endspiel statt auf das Mittelspiel die Gesamtleistung? Gibt es eine bessere Methode, den Wert eines Springers im Vergleich mit einem Läufer in der Eröffnung zu ermitteln? Wie rasch sollte der Computer auf wenig wahrscheinliche Zweige des Suchbaums verzichten, obwohl sich dort eine Falle verbergen könnte?
Campbell veränderte diese Parameter und testete Deep Blue immer wieder aufs Neue. Trotzdem schienen ihm manchmal Fehler zu unterlaufen, wobei er seltsame und unerwartete Züge ausführte. Wenn das geschah, musste sich Campbell die sattsam bekannte Programmiererfrage stellen: War der neue Zug ein Charakteristikum des Programms, der bewies, dass der Computer dazulernte, oder handelte es sich um einen Bug?
Mein Ratschlag im allgemeinen Kontext der Prognoseerstellung lautet, davon auszugehen, dass es sich um einen Bug handelt, wenn ein Modell zu einem unerwarteten oder rätselhaften Ergebnis gelangt. Leicht wird das Rauschen einmal mit dem Signal verwechselt. Bugs können die harte Arbeit der besten Prognostiker untergraben.
Bob Voulgaris, der
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