Die Berechnung der Zukunft: Warum die meisten Prognosen falsch sind und manche trotzdem zutreffen - Der New York Times Bestseller (German Edition)
meisten Pokerspieler sind schlau genug, einzusehen, dass einige Spieler langfristig wirklich Geld verdienen – und dass sie genau dies in Schwierigkeiten bringen kann.
Was zum Tilt führt
Lange bevor das Mode wurde, träumte Tommy Angelo bereits davon, alle im Poker zu schlagen. Im Alter von 32 Jahren gab er seinen Job als Schlagzeuger und Pianist einer Country-Rock-Band auf, um fulltime Poker zu spielen. 36
»Ich war süchtig«, sagte Angelo, als ich mich 2012 mit ihm unterhielt. »Mir gefiel die Idee, Profi zu werden, als ich zum ersten Mal davon hörte. Die Vorstellung, keine richtige Arbeit zu haben, war wunderbar. Damit – sein ganzes Geld nur mit seinem Grips zu verdienen – kann man die Gesellschaft überlisten. Nichts hätte mir mehr einleuchten können.«
Angelo hatte – wie die meisten Pokerspieler – Ups und Downs, und zwar nicht nur was die Gewinne, sondern auch was seine Leistungen anging. Wenn er am besten spielte, war er sehr gut, aber er spielte nicht immer am besten, sehr oft war er auf Tilt.
»I was a great tilter«, schreibt Angelo in seinem Buch Elements of Poker und meint damit das überaggressive Spiel, zu dem es kommt, wenn die Perspektive verloren geht. 37 »Ich kannte alle Arten. Ich war fähig zum aufbrausenden Tilt, zum brodelnden Tilt, zum loose Tilt, tight Tilt, zum zu aggressiven Tilt, zum zu passiven Tilt, zum zu hoch setzenden Tilt, zum zu lang spielenden Tilt, zum zu müde spielenden Tilt, zum Sich-Einbilden-dass-einem-der-Pot-zusteht-Tilt, zum verärgerten Tilt, zum Ungerecht-Tilt, zum Frustrations-Tilt, zum Nachlässigkeits-Tilt, zum Rache-Tilt, zum Knapp-bei-Kasse-Tilt, zum Zu-gut-bei-Kasse-Tilt, zum Beschämt-Tilt, zum Abgelenkt-Tilt, zum Verängstigt-Tilt, zum Neid-Tilt, zum Das-war-wirklich-die-lausigste-Pizza-Tilt, zum Ich-habe-gerade-einen-Bluff-erlebt-Tilt und natürlich zu den Klassikern: dem Ich-fordere-Revanche-Tilt und dem Ich-habe-nicht-alle-Zeit-der-Welt-das-Geld-zu-verlieren-Tilt, der auch als »Selbstzerstörungs-Tilt« bekannt ist.«
Angelo sah schließlich ein, dass ihn dieses ständig wiederkehrende Tilt trotz seiner Fähigkeiten daran hinderte, mehr als nur den Kopf über Wasser zu halten. Wir haben gesehen, dass es bedeutend einfacher ist, Geld zu verlieren, wenn man schlecht spielt, als Geld zu verdienen, wenn man gut spielt. Heutzutage ist die Gewinnspanne auch für jemanden, der langfristig gewinnt, recht klein, und es ist ziemlich plausibel, dass jemand, der 90 Prozent der Zeit auf Weltklasseniveau spielt, Geld verliert, wenn er die übrige Zeit auf Tilt spielt.
Angelo sah ein, wie umfassend sein Tilt-Problem war, als er mit Anfang vierzig begonnen hatte, über das Spiel zu schreiben und andere Spieler zu coachen. Er kennt sich aus, und was als Strategietraining beginnt, wird oftmals zur Therapie.
»Ich habe unterschiedlichste Leuten gecoacht, die alle möglichen Probleme beim Poker hatten«, sagt er. »Bei anderen erkennt man die Probleme sehr leicht. Ich sehe zum Beispiel: Dieser Typ ist so smart wie ich, und es ist eine Tatsache, dass er seine Fähigkeiten grenzenlos überschätzt. Und wenn sich alle anderen falsche Vorstellungen machen, dann kann das bei mir auch nicht anders sein.«
Jeder Pokerspieler sei bis zu einem gewissen Grad auf Tilt, meint Angelo. »Wenn jemand zu mir kommen und sagen würde, er sei nie auf Tilt, denke ich sofort, da ist wieder jemand, der sich was vormacht. Das passiert ständig.«
Als ich noch regelmäßig Poker spielte, gab es bei mir ebenfalls richtige Tilt-Zustände. Ich gehörte allerdings nicht zu den Leuten, die Sachen durch die Gegend warfen. Ich gehörte auch nicht zu denen, die dann partout jede Hand spielen mussten (obwohl mein A-Game recht extrem war). Gelegentlich spielte ich tighter. Gelegentlich spielte ich aber auch mechanisch, ohne nachzudenken, und sehr lange, oft bis spät in die Nacht. Ich ging sehr viel mit und hoffte, dass der Pot mir zufallen würde. Tief in meinem Innersten hatte ich es aufgegeben, das Spiel zu schlagen.
Jetzt sehe ich ein (ich bin mir nicht sicher, ob das auch der Fall war, als ich noch regelmäßig spielte), was bei mir den Tilt auslöste. Es machte mir nicht viel aus, wenn ich keine guten Karten bekam und folden musste, das lag eben an der statistischen Varianz des Spiels – so viel war mir schon klar. Aber wenn ich meinte, besonders gut gespielt zu haben – sagen wir mal, ich hatte den Bluff eines Gegners erkannt, dieser bekam dann aber beim River eine Karte, die ihn
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