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Die Bernsteinhandlerin

Titel: Die Bernsteinhandlerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walden Conny
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der damals frisch gekürte Landmeister von Livland, seine Residenz eingenommen und wenig später durch den Willen des Herrn für immer aufgegeben hatte.
    Auf dieser Reise hatte Barbara – wie so oft – ihren Vater begleitet. Der Besuch hatte ein letzter Versuch sein sollen, mit dem neuen Landmeister doch noch zu irgendeiner Form der Übereinkunft zu gelangen, sodass die Heusenbrinks das Bernsteingeschäft im Namen und Auftrag des Ordens fortsetzen könnten. Die Stimmung unterwegs war ohnehin bedrückt gewesen, denn sie machten sich kaum Hoffnungen, noch etwas ausrichten zu können.
    Der flammende Scheiterhaufen, der brennende Mann, dessen
Schreie am Ende verstummten, und der Geruch von verbranntem Fleisch – das alles war für Barbara noch für lange Zeit sehr gegenwärtig gewesen und hatte sich in ihrem Gedächtnis zu einem Schreckensbild verbunden. Daran, dass man das Böse mit aller Gewalt bekämpfen musste, zweifelte sie keineswegs. Dabei spielte es auch keine Rolle, ob es sich nun in Gestalt von Hexerei, Lykanthropie oder anderweitig zeigte. Doch ihr war gleichzeitig bewusst, dass es auch viele Unschuldige traf, die als angebliche Mannwölfe von aufgebrachten Menschenhaufen aus lauter Furcht zu Tode gebracht wurden. Selbst wenn ausnahmsweise einmal ein reguläres Gerichtsverfahren in solch einer Sache stattfand – was selten genug vorkam -, so waren die Rechtsprechenden meistens nicht weniger verschreckt als der Bauernmob. Besonders befremdlich war indes, dass Komture des Ordens keinesfalls davon ausgenommen schienen und schon sehr zweifelhafte Urteile in solchen Fällen gesprochen hatten; von ihrem Gottvertrauen, das sie doch eigentlich als Ritterbrüder hätte auszeichnen sollen, war dann plötzlich kaum noch etwas übrig.
    Auch in dem Fall, der nun von Neuem Barbaras Gedanken beherrschte, waren Ritterbrüder unter der Gerichtsbarkeit gewesen. Barbara erinnerte sich noch genau daran, wie ihr Vater den Wagen hatte anhalten lassen und sich bei den an ihren weißen Kreuzmänteln leicht erkennbaren Ritterbrüdern erkundigt hatte, was denn hier vorgefallen sei.
    Es stellte sich aber Gott sei Dank heraus, dass nicht sie das Urteil gesprochen hatten, sondern ein örtlicher Gutsbesitzer. Und der konnte wohl gar nicht anders, als der allgemeinen Stimmungslage nachzugeben und den Willen des Volkes zu befolgen. Bis in die Dörfer waren die Wölfe im vorhergehenden Winter gekommen. Vor den Mauern Rigas sollten sie ebenfalls in unmittelbarer Nähe gesichtet worden sein und
hätten sich nicht einmal durch den Knall von Hakenbüchsen auf Dauer vertreiben lassen. Gleichgültig, ob es nun ein Fluch Satans oder der pure Hunger gewesen war, der die Tiere aller Vorsicht beraubt hatte – den Menschen machte ihr Auftauchen stets große Angst.
    Â 
    Der Sturm hatte augenscheinlich auch im Niemandsland mit ungeheurer Wucht gewütet. Viele der noch jungen Bäume, die seit den Kriegsrodungen der Litauer neu gewachsen waren, hatte er mit Macht niedergedrückt. Hie und da schien auch der Donnergötze Perkunas seine Kräfte entladen zu haben. Der Boden war tief und weich. Immer ausgedehnter wurden die Sumpfgebiete, die wieder mit festerem Grund abwechselten. Wasservögel jagten in flachen Tümpeln nach Fischen und Krebsen. In ihnen wohnten die Seelen der Toten – gleichermaßen wie in manchen Bäumen. »Frauen kehren als Linden wieder und Männer als Eichen«, erklärte Algirdas. »Jedenfalls sagt man das hier so.«
    Â»Mit dem, was die heilige Kirche über das Jenseits sagt, ist das aber nicht so ganz vereinbar«, erwiderte Erich. »Und abgesehen davon sehe ich hier weit und breit weder Linden noch Eichen!«
    Â»Möglicherweise ist das ja der Grund für die Unzufriedenheit der Geister und den bösen Zauber, den man diesem Land nachsagt«, vermutete der Wirt. »Solange ich jedoch nicht selbst an diesem Ort begraben liege, soll mich das nicht kümmern.«
    Nach einiger Zeit erreichten sie ein Gebiet mit festerem, moosbewachsenem Untergrund. Nebel krochen aus den feuchten Büschen und den Tümpeln heraus, die es überall in großer Zahl gab, und bedeckten nach und nach den Boden. Das Krächzen von Raben vermischte sich mit den bisweilen
gurrenden und glucksenden Lauten der Wasservögel. Blesshühner schnellten im Dunstschleier über das Moos dem nächsten Tümpel entgegen, und

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