Die Bernsteinhandlerin
Barbara. Welch anderes Motiv konnte es ansonsten für diese bohrenden Nachfragen geben? Konnte es jemandem, der aus irgendeinem Grund zu einem Leben als ausgestoÃener Einsiedler entweder verurteilt oder entschlossen war, nicht gleichgültig sein, was andere durch dieses Gebiet führte? Dass ihm der Name Heusenbrink so vertraut war, überraschte Barbara nicht mehr sonderlich, seit sie die Grabkreuze gesehen hatte. Gleichgültig, in welcher der Hansestädte des Livlands dieser Mann ehedem gelebt haben mochte â schon die Namen von Heinrich Heusenbrinks Vater und GroÃvater waren dort jedem bekannt gewesen. SchlieÃlich war das Haus Heusenbrink so etwas wie das vom Orden eingesetzte
Nadelöhr des Bernsteinhandels, durch das ein GroÃteil dessen floss, was den Reichtum des Landes ausmachte.
»Meinem Vater geht es gut, aber meine Mutter ist vor drei Jahren vom Fieber dahingerafft worden«, sagte Barbara. »Der Grund dafür, dass wir durch dieses unwegsame Gebiet reisen müssen, liegt darin, dass unser Haus sich wohl den Zorn mächtiger Feinde zugezogen hat. Da gibt es offene Feinde, die versucht haben, uns die Bernsteinprivilegien wegzunehmen, und es gibt Feinde, die aus dem Verborgenen heraus versuchen, die Verhältnisse zu ihren Gunsten zu beeinflussen.«
»Die Welt ist schlecht«, murmelte Valdas, und er schien dabei ins Nichts zu blicken. »Und darum werde ich auf Dauer wohl auch nicht mehr in die Gesellschaft der Menschen zurückkehren.« Mit einer ruckartigen Bewegung drehte er den Kopf, und sein zuvor so abwesend und gedankenverloren wirkender Blick musterte sie jetzt auf eine Weise, die Barbara als prüfend empfand. »Fahrt fort, ich wollte Euch nicht unterbrechen! Ich habe selten genug Besuch, und da möchte ich so viel wie möglich erfahren.«
»Man hat versucht, mich zu entführen, und verfolgt uns«, berichtete Barbara. Sie wollte nicht weiter in die Einzelheiten gehen, denn dazu vermochte sie ihr Gegenüber nicht gut genug einzuschätzen. »Dass das Haus Heusenbrink nicht nur Freunde im Ordensland hat, ist mir seit langem bewusst. Aber offenbar stehen wir jetzt irgendeiner Macht im Weg, die danach trachtet, ihren Einfluss zu entfalten. Fragt mich nicht nach den Hintergründen! Ich bin selbst noch weit davon entfernt, sie zu verstehen. Im Augenblick will ich einfach nur sicher nach Riga kommen. Und wie ich Euch schon einmal sagte, es soll Euer Schaden nicht sein!«
»Wenn ich mich darauf einlasse, dann nicht um Euretwillen oder wegen ein paar Silberstücken â sondern weil Algirdas
mich darum bittet und er auch schon manches für mich getan hat.«
»Ich habe die Gräber hinter dem Haus gesehen«, sagte Barbara. »Euer Name ist nicht wirklich Valdas, nicht wahr?«
Valdas Mannwolf blickte auf und schüttelte den Kopf. »Nein. Mein Name lautete ursprünglich Walter. Die Toten sind meine Frau und meine Kinder, die von der Seuche hinweggerafft wurden. Und ich konnte ihnen nicht helfen, obwohl ich als Arzt und Heiler in Goldingen gelebt habe. Um ein Haar wäre ich selbst auch daran gestorben. Ein Sohn war in Telsche, als dort die Seuche wütete, und muss sie zu uns gebracht haben.«
»Das tut mir leid«, bekundete Barbara. »Der Herr möge ihren Seelen gnädig sein.«
»Das ist er!«, entgegnete Valdas in einem veränderten Tonfall. Er sprach jetzt leise, und seine Stimme hörte sich belegt an. Sein Blick war nach innen gekehrt. »Zu ihnen war er gnädig, denn er hat sie zu sich genommen, und nach allem, was sie durchleiden mussten, wird es ihnen nun bestimmt gut ergehen. Nur mich hat Gott furchtbar gestraft, indem er mich allein auf Erden zurücklieÃ.«
»Und was hält Euch in dieser Einsamkeit?«, fragte Barbara. »Ihr sagtet, dass Ihr in Goldingen ein Medicus wart, und der Orden hat immer Bedarf an solchen Männern.«
Valdas lachte heiser auf. »Aber ganz gewiss keinen Bedarf an mir und meinen Diensten. Ich war Medicus und Alchimist in den Diensten des Bischofs von Goldingen. Als der Bischof unter einer Unpässlichkeit litt, sollte ich ihm eine Tinktur bereiten, damit er sich wieder auf dem Abort erleichtern könnte. Ich empfahl ihm ein Mittel aus Kräutersud und einigen anderen Ingredienzien, das ich vielfach erprobt hatte. Keiner, der es je nahm, hatte irgendeine Klage über die Wirkung von sich gegeben. In diesem Fall hingegen war es
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