Die Bernsteinhandlerin
Pferd gezogen hatte.
Von ihm selbst sah sie nichts mehr. Sie hörte nur zwischendurch das Wiehern eines Pferdes.
Nach kurzer Zeit erreichten sie eine Lichtung mitten im Wald. Das Gras stand hier kniehoch, und an manchen Stellen wucherten dornige Sträucher empor.
Ungefähr in der Mitte der Lichtung befand sich ein aus übereinandergeschichteten Baumstämmen errichtetes Haus. Die Stämme selbst hatten eine fast durchgehend grüne Farbe angenommen und waren von einer Moosschicht bedeckt.
Davor war frisches Brennholz fein säuberlich in einem Stapel aufgeschichtet.
Von dem Wolf war zunächst nichts zu sehen, dann tauchte er plötzlich an der offen stehenden Tür des Hauses auf und blickte den drei Reitern interessiert entgegen.
Algirdas stieg aus dem Sattel. »Na, was sagt Ihr?«, rief er. »Wir sind am Ziel! Willkommen in Valdasâ abgeschiedenem Reich! Wie Ihr seht, hat er es sich hier recht gemütlich eingerichtet.«
Der Wolf lieà ein durchdringendes Heulen hören, und Barbara war erleichtert, dass ihm im nächsten Moment nicht noch ein ganzes Rudel antwortete.
Algirdas drehte sich zu seinen Begleitern um. »Nun kommt schon, steigt vom Sattel. Dieser Wolf ist so zahm, dass der SchoÃhund mancher Hoheit sich davon ruhig etwas zu eigen machen könnte! Valdas hat ihn gezähmt, und er gehorcht aufs Wort!«
»Aber bestimmt nicht uns!«, stellte Erich fest, dennoch folgte er Algirdasâ Beispiel und stieg ebenfalls aus dem Sattel. Barbara zögerte noch einen Moment, ehe sie sich den beiden anderen anschloss.
Ein Mann mit grauweiÃem Bart und langen, zotteligen Haaren trat aus dem Haus. Seine Kleidung bestand zum gröÃten Teil aus Fellen und war sehr grob genäht. Offenbar verstand er sich besser auf den Hausbau als auf die Handarbeit. An einem breiten Gürtel hingen Messer und eine doppelklingige Handaxt, die sich sowohl als Werkzeug wie auch als Waffe nutzen lieÃ.
Sein Gesichtsausdruck verriet Misstrauen. Seine Haut war so zerfurcht und wettergegerbt, dass sie an ein altes Stück Leder erinnerte. In der Linken hielt er einen Speer, auf den er sich leicht stützte.
»Ein Mann, der einen gezähmten Wolf hält und mit seiner Fellkleidung auch noch fast so aussieht, als wäre er mit den Tieren verwandt â kein Wunder, dass man ihn mit einem Mannwolf verwechselt«, raunte Erich Barbara zu.
»Er muss wohl schon viele Jahre hier für sich leben«, glaubte sie.
»Hauptsache, er findet den Weg!«, gab Erich zurück.
Valdas wechselte mit Algirdas ein paar Worte in einer der hiesigen Sprachen. Litauisch, Schamaitisch, Kurisch, Livisch â all diese Idiome hörten sich für Barbaras Ohren ziemlich gleich an, und angeblich waren sie sich auch sehr ähnlich. Nur die Sprache der Esten im Norden unterschied sich schon für den, der sie zum ersten Mal hörte, sehr deutlich.
Die beiden Männer schienen sich gut zu verstehen. Valdas nahm seinen Speer und versenkte die Spitze im Waldboden. Dann klopfte er Algirdas auf die Schulter und machte alles in allem den Eindruck, hocherfreut über dessen Auftauchen zu sein. Nun ergriff Algirdas das Wort und deutete auf Barbara und Erich, die ihre Pferde an Sträuchern festmachten. Der Wolf beobachtete sie dabei sehr aufmerksam und wich die ganze Zeit über nicht von Valdasâ FuÃ.
»Es muss einen guten Grund geben, dass sich Valdas hierher zurückgezogen hat und in aller Einsamkeit lebt«, meinte Barbara. »Mönche suchen die innere Einkehr und ein gottgefälliges Leben, aber das scheint mir hier nicht der Fall zu sein.«
»Ist Euch aufgefallen, dass an diesem Haus kein Hengstkopf prangt?«, fragte Erich.
»Wenn ich in seiner Lage wäre und ein Pferd besäÃe, wüsste ich Besseres anzufangen, als seinen Schädel an den Giebel zu nageln!«, gab Barbara zurück.
Erich zuckte mit den Schultern. »Selbst Hengste leben nicht ewig! Nein, das muss einen anderen Grund haben.«
Algirdas winkte Erich und Barbara und bedeutete ihnen, sich zu nähern. Etwas zögernd leisteten sie Folge.
»Seid gegrüÃt von Valdas Mannwolf!«, sagte der Einsiedler in plattem Düdesch, dessen lautliche Färbung etwas fremdartig klang. »Mein Freund Algirdas hat mir bereits einiges über Euch erzählt.« Er musterte Barbara etwas näher und verengte die Augen. Barbara hielt diesem Blick stand. »Wenn Algirdas mir
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