Die Bernsteinhandlerin
Pech, das der Abdichtung diente. Alles schaukelte. Sie hatte das Gefühl, sich zu drehen und in die Luft gehoben zu werden, um dann erneut zu fallen. Erst allmählich spürte sie, dass dieser Wechsel einem sehr regelmäÃigen Rhythmus unterlag. Sie konnte nichts sehen auÃer ein paar Lichtflecken, die durch den groben Stoff eines Jutesacks hindurchschimmerten. Geräusche drangen an ihr Ohr. Ein Rahsegel schlug herum, der Wind blies nun aus anderer Richtung, und sie hörte die Stimmen von Männern, deren Worte sich mit dem Rauschen des Meeres und dem Klatschen der Wellen gegen den Bug und dem Klappern der Takelage vermischten. Hie und da knallte
ein Seil oder ein Haken gegen Holz, oder es wurden Taue festgezurrt. Heiser wurden knappe Befehle auf Platt gerufen, die Sprache, die alle Seeleute der Ostsee zumindest verstanden, selbst wenn es nicht die Zunge ihrer Mütter sein mochte.
All das kannte Barbara nur zu gut. Sie war also auf einem Schiff, ohne auch nur die geringste Ahnung zu haben, wohin die Reise ging oder wie lange sie bereits unterwegs war. Dunkel tauchten die Erinnerungen an das Geschehene in ihr auf. Die sterbenden Waffenknechte, Thomas Bartelsens Schrei, die schattenhaften Gestalten, die sie gepackt und fortgezerrt hatten ⦠Jegliche Eindrücke formten sich zu einem Chaos aus Bildern, die ihr vorkamen, als wären sie einem Nachtmahr entsprungen. Wie vage Erinnerungen an das, was einen im Schlaf gequält hatte. Nur pflegten solche Alptraumerinnerungen zu verblassen â aber in diesem Fall verhielt es sich genau umgekehrt. Nach und nach wurde es ihr zur furchtbaren Gewissheit, dass sich alles wirklich zugetragen hatte.
Ja, auf dem Weg vom Schwarzhäupterhaus zurück zum Anwesen der Heusenbrinks war es geschehen. Sie sah es jetzt wieder mit aller ernüchternden Klarheit vor sich.
Barbara versuchte sich aufzurichten und den Sack abzustreifen, den man ihr über den Kopf gezogen hatte. Aber er war verschnürt, und sie fand nicht gleich die richtige Stelle, an der sie die Knoten lösen konnte. Jemand packte sie an den Schultern, löste die Schnüre und riss ihr grob den Sack vom Kopf. Ihre Haare waren völlig zerzaust, eine Haarnadel verfing sich in der Jute und stach ihr schmerzhaft in die Kopfhaut.
»Ah, die feine Dame ist etwas empfindlich!«, höhnte eine raue Männerstimme. Ein Mann mit langem, wirrem Haar und einem dunklen Vollbart stand vor ihr. Er trug ein Lederwams und Hosen aus grobem Stoff, darüber einen breiten Gürtel, an dem ein langes Messer in einer bestickten Lederscheide steckte.
An einer Lederschärpe hing ein Schwert, das allerdings kürzer war, als man es von den Waffenknechten zu Lande kannte. Barbara blickte sich kurz um, ihr Kopf tat schrecklich weh. Endlich sah sie, dass sie sich auf einer Kogge befand. Sie segelten so hart am Wind, wie das diesen bauchigen, nicht besonders manövrierfreundlichen Schiffen möglich war. Aber dafür waren sie auf Grund ihrer hohen Wandungen sehr sicher und vor allem im beladenen Zustand auch ziemlich unempfindlich gegenüber hohem Wellengang und starken Winden. Nach Steuerbord war nur das Meer zu sehen â so weit das Auge reichte, eine strahlend blaue Fläche, in der hie und da die Sonne glitzerte, sodass man den Eindruck gewinnen konnte, auf eine gewaltige, sich unendlich ausdehnende Schatzkammer zu blicken.
Nach Backbord wurde diese blau glitzernde Fläche durch ein grünbraunes Band begrenzt. Die Küste. Barbara versuchte Einzelheiten zu erkennen, um vielleicht einen Anhaltspunkt dafür zu bekommen, wo sich die Kogge, auf die man sie verschleppt hatte, gerade befand. SchlieÃlich war es nicht das erste Mal, dass sie die Küste des Ordenslandes entlangsegelte. Und manch markante Orte lieÃen sich gut wiedererkennen â etwa die Zuflüsse zu den Haffs hinter den Nehrungen, die so kennzeichnend für die Ufer der südöstlichen Ostsee waren.
Oder vielleicht sah sie irgendwo die Silhouette einer Küstenstadt, die sie wiedererkannte. Doch da war nichts dergleichen. Nur menschenleere, scheinbar unbesiedelte Küste, vor der nicht einmal Fischerboote zu sehen waren. Möwen flogen manchmal von den Stränden aus zum Schiff herüber und spekulierten wohl darauf, etwas von den über Bord gehenden Abfällen zu ergattern. Ansonsten hielten sie sich an den Fischen schadlos, die unvorsichtig genug waren, zu dicht an der Oberfläche zu
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