Die Bernsteinhandlerin
Bernsteinkönig wollte auf keinen Fall noch einmal zur Ader gelassen werden. Solange Barbara verschwunden war, brauchte er jedes bisschen Kraft, um diese Prüfung des Herrn zu bestehen. Alles andere war seiner Ansicht nach weniger wichtig.
»Ich lasse Euch wieder rufen, falls sich die Meinung des Herrn Heusenbrink in dieser Sache ändern sollte«, erklärte Thomas Bartelsen, bevor der Medicus sich zum Gehen wandte.
»Gut«, nickte dieser. »Aber wartet nicht zu lange!«
Damit ging er zur Tür des Schlafzimmers hinaus und lieà sich vom Diener bis zu einem auf der StraÃe wartenden Wagen begleiten.
Heinrich Heusenbrink lag ausgestreckt in seinem Bett und schloss die Augen. Es ging ihm nicht gut, das konnte niemand übersehen. Aber nachdem er erfahren hatte, was mit seiner
Tochter geschehen war, hatte er sich gegen seinen hinfälligen Zustand geradezu aufgebäumt. Seinem schwachen Herzen hatte das gewiss nicht gutgetan. Aber verbissen ertrug er, was die Krankheit für ihn an Unbilden mit sich brachte. Eine wilde Entschlossenheit stand in seinem Gesicht, auch wenn er sich andererseits immer wieder vor Schmerz an die Brust fasste.
»Womit habe ich das verdient, Bartelsen?«, fragte er. »Könnt Ihr mir das sagen? Die Tochter wurde entführt, meine besten Männer lagen tot auf dem Pflaster, und ich selbst bin so hinfällig wie ein Greis, obwohl ich gerade jetzt stark wie ein Bär zu sein hätte!«
»Wir müssen tragen, was der Herr uns als Last bestimmt«, sagte Bartelsen.
»Ja â das sagt sich so einfach, wenn man gerade mal nichts auf dem Rücken hat«, murmelte Heinrich.
»Ihr werdet sehen, wir werden bald eine Lösegeldforderung bekommen, und dann wird es sicher eine Möglichkeit geben, sich mit diesen Leuten zu einigen.«
»Ich bin mir da nicht so sicher ⦠Mein Gefühl sagt mir, dass mehr dahintersteckt. Viel mehr!« Heinrich atmete tief durch und setzte noch einmal an, aber zunächst kam nichts weiter als ein erbärmlich klingendes Ãchzen aus seinem Mund. Er brauchte einige Augenblicke, ehe er in der Lage war weiterzusprechen. »Hört mich an, Bartelsen! Die Truppe unserer Waffenknechte ist ziemlich dezimiert, und ich wüsste im Moment niemanden, der sich dieser Sache annehmen könnte â auÃer diesem Ritter, der Barbara auf ihrem Weg nach Riga begleitet hat! Erich von Belden! Treibt ihn für mich auf! Ich hoffe, dass er noch in der Stadt ist und sein Schwert nicht verkauft hat!«
Bartelsen nickte. »Ich werde tun, was ich kann«, versprach er.
Da Thomas Bartelsen sich nicht so gut in Riga auskannte und vor allem auch keine Ahnung hatte, in welchen Wirtshäusern und Herbergen man nach jemandem wie Erich von Belden am besten zu suchen anfing, nahm er einen der Diener mit. Er hieà Hans Steinhauer und entlockte den Leuten mit seinem Familiennamen jedes Mal ein leichtes Schmunzeln, wenn er ihn nannte â denn wie ein Steinhauer sah er nun wirklich nicht aus. Hans war eher schmächtig und zart. Niemand traute ihm zu, etwas gröÃere Gewichte stemmen zu können.
Sein GroÃvater war Steinhauer gewesen, und da der noch lebte, scheute sich Hans, diesen Familiennamen abzulegen und gegen einen für ihn etwas weniger verfänglichen einzutauschen.
Systematisch führte Hans den neuen Schreiber zu jenen Herbergen und Gasthäusern, die von durchreisenden Söldnern und Seeleuten bevorzugt wurden. Sie fanden Erich von Belden schlieÃlich im Mietstall eines Gasthauses mit der Bezeichnung »De Halve Haan«. Es gehörte einem ehemaligen Umland-Fahrer aus Holland. Kapitäne, die aus der Nordsee um den Skagerrak fuhren und den Hanseaten der Ostsee auf deren Handelsrouten Konkurrenz machten, wurden so genannt â und beliebt waren sie natürlich nicht. Die Hanse hatte immer versucht, sie möglichst aus der Ostsee herauszuhalten und ihr eigenes Handelsmonopol zu behaupten. Notfalls mit Gewalt. Gerrit, der Wirt von »De Halve Haan«, hatte die Konsequenzen gezogen, nachdem sein Schiff vor Gotland fast versenkt worden war. Er hatte es verkauft und in Riga ein Gasthaus eröffnet. Allerdings hatte er nicht geahnt, dass er sich damit neuen Ãrger einhandeln würde, denn nach Ansicht maÃgeblicher Teile des Rates ging es in »De Halve Haan« eindeutig zu hoch her. Insbesondere das ungehemmte und exzessive gegenseitige Sich-Zuprosten, unterlegt mit zotigen
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