Die Bernsteinhandlerin
triftigen und wirklich unabweisbaren Grund für Matthiasâ Fehlen gegeben hätte, so wäre es der Höflichkeit geschuldet gewesen, dass der Herr des Hauses einen solchen meinetwegen erfunden hätte! Stattdessen schickte dein ach so guter Geschäftsfreund lediglich seinen Schreiber zum Hafen.«
»Die Kaufleute Lübecks halten sich eben für etwas Besseres«, erwiderte Heinrich. »Zumindest sagt man ihnen das nach, und es wird gewiss auch etwas dran sein!«
»Die Isenbrandts bekommen durch meine Heirat mit Matthias einen Zugang zum Bernstein des Ordenslandes, wie es sonst keinem anderen lübischen Handelshaus möglich wäre!«, stellte Barbara heraus. »SchlieÃlich sind wir privilegierte Bernsteinaufkäufer des Ordens, und wenn auch der Anteil, den wir den Kreuzrittern abzugeben haben, immer gröÃer und ihre Forderungen immer unverschämter wurden, so ist das doch ein Geschäft ohne Risiko für die Isenbrandts! Sie haben Grund, dankbar zu sein â nicht wir !« Zornesröte stand Barbara nun im Gesicht, ihre Augen verengten sich, und die Enttäuschung,
die sie über das Verhalten ihres zukünftigen Verlobten empfand, stand überdeutlich in ihren Zügen. Bisher hatte sie sich darum bemüht, sich nichts anmerken zu lassen, aber ihrem Vater gegenüber bestand keinerlei Notwendigkeit, ihre wahren Gefühle zu verbergen.
»Nun beruhige dich, Barbara, lass dich nicht durch ÃuÃerlichkeiten beeindrucken«, versuchte Heinrich ihr Temperament etwas zu beschwichtigen. Sie atmete tief durch, so als ob es gälte, eine schwere innere Last loszuwerden.
Natürlich war ihr nur allzu klar, dass das, was sie gesagt hatte, nur die eine Seite der Wahrheit war. »Wir sind der schwächere Partner bei diesem Handel«, fuhr Heinrich Heusenbrink fort, »und ich fürchte, das ist der anderen Seite leider bewusst.«
Barbara war sogleich darüber im Bilde, worauf ihr Vater anspielte. Solange Heinrich Heusenbrink lebte, waren die Privilegien des Deutschen Ordens, die der »Bernsteinkönig« in Riga genoss, relativ sicher. Aber sobald er von der Bühne des Lebens und der Geschäfte abträte, würde sich das ändern. Die Konkurrenz schlief nicht, und hinter den Kulissen arbeitete man wahrscheinlich schon auf den Tag hin, da die vermeintlich schwache Barbara den Bernsteinhandel übernehmen würde.
»Trotzdem besteht auch keine Notwendigkeit, dass ich mich zu billig verkaufe!«, erwiderte Barbara trotzig. Die diplomatische Zurückhaltung ihres Vaters gegenüber den Isenbrandts ging ihr inzwischen entschieden zu weit.
»Es geht um die Erhaltung des Hauses Heusenbrink«, sagte Heinrich. Fast hundertfünfzig Jahre war es her, dass ein anderer Mann mit dem Namen Heinrich Heusenbrink â Barbaras UrurgroÃvater â seine Heimatstadt Lübeck verlassen hatte, um in Riga sein Glück zu machen. Jener ältere Heinrich Heusenbrink hatte das Handwerk eines Bernsteinschleifers von der
Pike auf erlernt und war schlieÃlich zu einem respektablen Handelsherrn aufgestiegen. Sein Sohn Peter hatte die Heusenbrinks dann an den Rand des Ruins gebracht, ehe er zusammen mit fast der Hälfte der rigaischen Stadtbevölkerung ein Opfer des Schwarzen Todes geworden war. Peter Heusenbrinks Sohn Friedrich war Jahre später der erste Heusenbrink gewesen, der sich unter der hanseatischen Händlerschaft den Beinamen Bernsteinkönig erworben hatte. Seitdem hatte die Familie ihre Handelsprivilegien auch unter wechselnden livländischen Landmeistern des Deutschen Ordens erhalten können.
So, wie Barbaras Vorfahren nicht nur für sich selbst und ihr eigenes Glück gelebt hatten, so lag es auch Barbara fern, dies zu tun. Wenn eines Tages die Geschäfte in ihren Händen lägen, brauchte sie für den Fortbestand des Hauses Heusenbrink einen starken Partner, einen, der nicht aus Riga kam.
An den Verträgen war lange gefeilt worden. Verträge, die absichern sollten, dass das Erbe des Bernsteinkönigs nicht einfach im Besitz der Isenbrandts aufginge und Barbara aus dem Geschäft gedrängt würde. Insbesondere musste verhindert werden, dass Barbaras Kinder im Falle des vorzeitigen Todes ihrer Mutter durch Nachkommen, die Matthias Isenbrandt möglicherweise mit einer zweiten Frau zeugte, um ihr Erbe gebracht würden. Der Tod im Kindbett kam schlieÃlich häufig genug vor, sodass man
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