Die Bernsteinhandlerin
Empfindungen.
Barbara gab sich alle Mühe, jedoch konnte sie nicht verhindern, dass ihre Gedanken immer wieder abschweiften. Vor ihrem inneren Auge erschien das Gesicht des Ritters mit dem Rosenschwert-Wappen, Erich von Belden ⦠Immer und immer wieder kreisten ihre Gedanken um ihn und natürlich das, was er ihr eröffnet hatte. Sosehr sie alles in ihrem Herzen hin und her bewegte, sosehr sie es mit ihren Gedanken kühl abzuwägen versuchte â so wenig fand sie indessen einen Grund, aus dem dieser Mann ihr die Unwahrheit gesagt haben sollte. Sie dachte daran, wie Erich dem Gespann entgegengetreten war â mutig, unerschrocken und geradeheraus. Im Nachhinein fragte sich Barbara, ob diese Begegnung auf dem Markt wirklich zufällig gewesen war. Hatte Erich sie vielleicht beobachtet und nach einer geeigneten Gelegenheit gesucht, um ihr seine Warnung mitzuteilen? Die Anwesenheit ihres Vaters hatte â falls dies der Wahrheit entspräche â wohl dazu geführt, dass Erich zunächst geschwiegen hatte. Auf jeden Fall hatte Erich viel Wert darauf gelegt, dass sie ganz bestimmt allein
waren. Und falls nur die Hälfte von dem, was er erzählt hatte, Tatsache wäre, dann hatte er auch allen Grund dazu gehabt â zumindest, wenn man davon ausging, dass er sie wirklich schützen wollte.
Das tat Barbara inzwischen. Je länger sie darüber nachdachte, desto absurder erschienen ihr alle anderen Möglichkeiten.
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Erst später, als sie zurück in ihren Räumlichkeiten waren, die sie im Haus der Isenbrandts bewohnten, hatte Barbara Gelegenheit dazu, ungestört mit ihrem Vater über die Begegnung mit Erich von Belden zu sprechen. Sie suchte ihn dazu in dessen Gastgemach auf. Dort war es recht kühl, denn im Kamin war nur noch eine schwache Glut, und beim Atmen entstanden kleine Nebelwolken.
Heinrich Heusenbrink runzelte die Stirn, während er Barbara zuhörte.
»Wo steckt dieser Kerl jetzt?«, fragte er schlieÃlich.
»Darüber hat er mir nichts gesagt â genauso wenig, wie er mir Auskunft darüber gegeben hat, wohin es ihn von nun an zieht! Ich weià nur, dass er die Stadt verlassen will oder besser muss.«
»Ich würde ihn gerne selbst befragen.«
»Und was könnte das ändern, Vater?«, fragte Barbara. Sie rieb die Hände gegeneinander, um sie etwas zu wärmen. Die Ansammlung so vieler Menschen im Festsaal hatte es ebenda warm werden lassen â und das Feuer, über dem die SpieÃbraten gedreht wurden, hatte ein Ãbriges dazu getan. Barbara trug deshalb nicht ganz so viele Untergewänder wie sonst, und das bereute sie nun an diesem Ort. Ihr Vater hingegen hatte trotz der zu erwartenden Hitze im Festsaal nicht darauf verzichtet, sich die Hosen mit Stroh auszustopfen, was immer ein gutes Mittel gegen die Kälte war. Bei all dem Trubel im Festsaal
hatte man die knisternden Geräusche, die bei jeder Bewegung entstanden, nicht gehört. Jetzt allerdings knisterte es bei jedem Schritt.
Unter anderen Umständen hätte dies Barbara ein Schmunzeln entlockt â aber dazu empfand sie die Lage jetzt als zu ernst.
»Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass die Isenbrandts so weit gehen würden, wie dieser Ritter behauptet!«, meinte Heinrich kopfschüttelnd. »Und vor allem bei Jakob scheint es mir ausgeschlossen zu sein, dass er zu solch einem niederträchtigen Plan seine Zustimmung geben würde!«
»Vielleicht wusste Jakob ja nichts davon«, gab Barbara zu bedenken. »Aber was den Rest der Familie angeht, passt das alles für mich genau in das Bild, das sich für mich immer deutlicher zu zeigen beginnt.«
»Wie kannst du das sagen, mein Kind?«, fragte Heinrich, dem die Erschütterung deutlich anzusehen war.
»Also Adelheid wünscht mir sicher Schlimmeres als den Tod und sieht in mir alles andere als die geeignete Mutter ihrer Enkel â und was Matthias betrifft, so überkommt mich jedes Mal ein Frösteln, wenn er mir nahe kommt. Der denkt ausschlieÃlich an sich selbst, und ich bin überzeugt davon, dass er bereit wäre, alles und jeden mit aller Rücksichtslosigkeit aus dem Weg zu räumen, wenn er glaubt, dass das notwendig ist.«
Heinrich Heusenbrink trat ans Fenster und blickte hinaus. Das Kerzenlicht, das den Raum erfüllte, spiegelte sich in den Scheiben wider. »Ich kann diese Angelegenheit noch nicht einmal in aller Offenheit mit
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