Die Bernsteinhandlerin
dachte sie. Hier drauÃen, in diesen halbheidnischen Kurendörfern, kümmerte es keine Zunft und auch sonst niemanden, wie breit ein Pelzkragen war oder welche Kleidung sich für welchen Stand vielleicht nicht schickte. Die Bernsteinvögte und Ordensritter hatten schon genug damit zu tun, die gröbste Ordnung aufrechtzuerhalten und dafür zu sorgen, dass der Strom an Bernstein, der vom Ordensland ausging, nicht versiegte. Und die Pfarrer waren schon zufrieden, wenn jeder Einheimische ein Kreuz an den Grabtafeln der Krötengöttin anbringen lieà und damit wenigstens formal zur Schau stellte, dass er an Jesus Christus glaubte.
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Als die neu gewandete Barbara Erich auf dem Korridor wiedertraf, wo er offenbar auf sie gewartet hatte, fühlte sie sich ein wenig befangen.
»Tut mir einen Gefallen und vergesst, was Ihr soeben gesehen habt!«, bat sie.
»Ihr seid von schöner Gestalt, und ich fürchte, vergessen werde ich das wohl kaum.«
Barbara bekreuzigte sich daraufhin. »Nicht einmal Eheleuten wird es von unserer heiligen Kirche geraten, einander nackt zu betrachten! Auch wenn Ihr da möglicherweise rauere Sitten gewohnt seid und in dieser Hinsicht die Gebote des Herrn nicht ganz so wichtig nehmt â¦Â«
»Wie kommt Ihr darauf?«
»HeiÃt es nicht, dass den Heeren die Huren folgen? Ihr habt
mir doch selbst erzählt, in wessen Heeren Ihr über die Jahre gedient habt!«
»Wie gesagt, ich kann Euch nur nochmals um Verzeihung bitten â gleichwohl solltet Ihr mich bisher gut genug kennen gelernt haben, um zu wissen, dass kein Anlass besteht, sich vor mir zu fürchten.«
Sie sah ihn an, und ihre Hand kam dabei der seinen so nahe, dass sie sich fast berührten und sie die Wärme des fremden Körpers zu spüren vermochte.
»Das tue ich auch nicht!«, versicherte sie.
»Dann ist es ja gut.«
Die Wahrheit ist, dass ich mich vor etwas ganz anderem fürchte!, ging ihr ein Gedanke durch den Sinn, den auszusprechen sie sich allerdings hütete. Was ihr tatsächlich Angst machte, war, dass ihr die Art, wie er ihren Körper betrachtet hatte, auf eine überwältigende und verwirrende Weise angenehm gewesen war.
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Im Schankraum wärmten sie sich am Feuer und sprachen kaum ein Wort. Obwohl sich die meisten Gäste im Raum auf Kurisch unterhielten und man bei einem Teil von ihnen sogar annehmen musste, dass sie nur des Kurischen mächtig waren, schien es Barbara doch kein Ort für ein ungestörtes Gespräch zu sein.
Einige der Männer hatten sich in ein Würfelspiel vertieft, an dem auch andere regen Anteil nahmen; mehrfach kam es, vermutlich auf Grund unterschiedlicher Regelauslegung, beinahe zum Streit zwischen den Spielern. Einmal musste Algirdas beschwichtigend eingreifen. Barbara verstand kein Wort von dem, was er ihnen sagte â aber er hatte Erfolg. Vielleicht drohte er ihnen einfach nur an, sie bei diesem Wetter bei der Tür hinauszuwerfen â und bei einem Mann von Algirdasâ GröÃe
und Gestalt glaubte da sicher niemand an eine leere Drohung.
Was drauÃen geschah, davon konnte man im Schankraum so gut wie gar nichts mitbekommen, denn alle Fensterläden waren dicht geschlossen.
Aber dass sich die Wetterlage mit der Zeit entspannte, konnte man sich durchaus zusammenreimen, denn der Wind heulte mit der Zeit weniger um das Haus, der Regen prasselte nicht mehr mit solcher Wucht herab, und das unablässige Klappern der Läden lieà ebenfalls nach. Das sicherste Zeichen dafür gaben vielleicht jedoch die Tiere, die sich langsam zu beruhigen schienen â sowohl die Schweine und Pferde in den Stallungen als auch die Hunde, die sich dem Unwetter bislang mutig entgegengestellt hatten.
Barbara fehlte indessen jedwedes Maà dafür, wie viel Zeit seit ihrem Eintreffen hier eigentlich vergangen war.
Doch plötzlich riss jemand die Tür auf, und mit einem Schlag verstummte jedes Gespräch im Schankraum. Alle Augen waren jetzt auf den breitschultrigen Mann gerichtet, der eingetreten war. Er trug ein Lederwams sowie ein Schwert an der Seite und hatte um dessen Griff seine linke Hand gelegt. Sein Umhang war eng um die Schultern gezogen, und die Lederkappe hing ihm tief im Gesicht. Ein dunkler Bart wuchs ihm fast bis unter die Augen, und das allein wies darauf hin, dass er kein einheimischer Kure war.
Der Mann brüllte ein paar Worte auf Kurisch. Er tat das freilich so
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