Die Bernsteinhandlerin
gestelzt und unsicher, dass sogar für Barbara erkennbar war, dass er diese Sprache nur mühsam gelernt hatte und sich in ihr nicht wirklich sicher fühlte.
»Wer ist das?«, raunte Erich Algirdas zu.
»Unser Vogt«, lautete die einsilbige und gleichfalls geflüsterte Antwort des Wirtes. Das Wiehern mehrerer Pferde und
das Getuschel einiger Stimmen, die man von drauÃen vernehmen konnte, machten deutlich, dass er nicht allein gekommen war. Der Regen hatte offensichtlich aufgehört. Zwar blies noch ein kalter Windhauch durch die offene Tür herein, aber mit dem vorhergehenden Sturm war das nicht mehr zu vergleichen.
Innerhalb weniger Augenblicke erhoben sich alle Männer von ihren Plätzen. Das Würfelspiel wurde abgebrochen und jeder Bierkrug noch hastig geleert. »Jetzt werden wir hoffentlich genug finden, um unser Soll zu erfüllen!«, sagte Algirdas und war auch schon mit Frau und Kind den anderen gefolgt und aus der Gaststube ins Freie gegangen. Die kleine Jurate trug Algirdasâ Frau in einem Tuch bei sich. Von drauÃen waren laute Rufe zu hören. Offenbar trommelten die Helfer des Vogts gerade die gesamte Dorfbevölkerung zusammen, damit sie in den nächsten Stunden den Strand nach Bernstein absuchte, bevor das Meer sich seine Gabe wieder holte.
Barbara und Erich blieben als Einzige zurück.
Der Vogt steuerte energischen Schrittes auf sie zu und studierte sie beide eingehend.
»Wer seid Ihr?«, fragte er dann auf Platt, denn auch wenn sie im Moment die grob gewebten Kleider einfacher Leute trugen, so war allein schon Erichs Rapier ein für jeden erkennbarer Hinweis darauf, dass dieser Mann nicht aus der Gegend kam.
»Wer seid Ihr?«, wiederholte er seine Frage.
»Ein Ritter auf der Durchreise«, antwortete Erich jetzt.
»Und wie ist Euer Name?«
»Man nennt mich Wolfgang aus Westfalen«, behauptete er.
Der Vogt deutete auf Barbara. In ihrem weiten Männerwams und der über den Kopf gezogenen Kapuze war von ihrer Weiblichkeit nichts zu sehen. Selbst der obere Teil ihres Gesichts lag im Schatten der Kapuze, während Barbara ziemlich
zusammengesunken in der Nähe des Feuers saà und ihre nackten FüÃe so positionierte, dass sie gewärmt wurden.
»Euer Knappe?«, fragte der Vogt. Seine Augen wurden schmal, und in der Mitte seiner Stirn bildete sich eine tiefe Furche, die seinem Gesicht einen zweifelnden Ausdruck gab.
»Wir wollen uns dem Landmeister von Livland anschlieÃen«, verkündete Erich.
»Ah, jemand, der noch bereit ist, sich für den Glauben zu schlagen.« In den Worten des Vogtes war ein zynischer Unterton unüberhörbar.
»So ist es«, bestätigte ihn Erich.
»Albrecht von Gomringen ist tot, daher gibt es zurzeit keinen livländischen Landmeister«, erwiderte der Vogt. »Der Hochmeister in der Marienburg regiert auch den Norden, solange das Interregnum anhält und das Hauptkapitel des Ordens noch keinen Nachfolger gewählt hat ⦠Aber das wird nicht mehr lange dauern, wie ich gehört habe.« Er zuckte mit den Schultern. »Jeder Botschafter des Hochmeisters reitet hierher, und mancher von ihnen hat schon an der Stelle gesessen und sich wie Euer Knappe die FüÃe gewärmt! So erfahren wir hier Neuigkeiten oft etwas schneller als andernorts.« Der Vogt trat auf das Feuer zu und wärmte sich die Hände, an denen eine Reihe von Narben zu sehen war. Narben, wie sie typisch durch Verletzungen waren, die man sich im Schwertkampf zuzog. Barbara hielt den Blick gesenkt. Je weniger der Vogt von ihrem Gesicht zu sehen bekam, umso besser. Wenn der Vogt später weitererzählte, dass er einem freien Ritter und seinem Knappen begegnet war, dann wies das nicht geradewegs auf sie und Erich hin.
»Ich nehme nicht an, dass Ihr die Absicht habt, Euch länger in der Gegend aufzuhalten«, mutmaÃte der Vogt im Anschluss an diese längere Pause.
»Wenn unsere durchnässten Sachen morgen früh trocken
sind, werden wir unseres Weges ziehen«, erklärte Erich. »Und der Herr mag uns auf festen Wegen führen!«
»Nach einem Unwetter wie diesem wird Euch da auch der Herr schwerlich helfen können«, entgegnete der Vogt. »Ihr mögt mir meine Neugier verzeihen, aber es treibt sich viel Gesindel in diesem Land herum. Der Bernstein, den das Meer an Land spült, zieht sie an wie der Honig die Bienen. Man kann sich ihrer kaum
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