Die Bernsteinhandlerin
hatte, wusste Johannes nicht. Aber Johannes glaubte seinen alten Weggefährten gut genug zu kennen, um bemerken zu können, dass sich Ludwig nicht wirklich wohl im Mantel des Hochmeisters fühlte. Sein Pflichtgefühl hätte es ihm nie erlaubt, dies offen zu äuÃern, geschweige denn eine derartige Berufung abzulehnen.
»Es ist schön, dass Ihr so schnell gekommen seid, Johannes«, sagte Ludwig in einem völlig veränderten Tonfall, dem nichts mehr von der bissigen Aggressivität gerade eben innewohnte.
»Es ist mir eine Ehre.«
»Erhebt Euch, Johannes!«
»Gewiss!«
Alsdann vollführte Ludwig von Erlichshausen mit seinem linken Arm eine weit ausholende Geste und rief: »Verschwindet! Verschwindet und lasst mich mit meinem Gast allein!«
Zunächst reagierte niemand auf diesen unwirschen Ausruf. Die Wachen waren sich ebenso wenig darüber im Klaren, ob sie damit gemeint gewesen seien, wie auch Melarius von Cleiwen, dessen Stirn sich nun in Falten gelegt hatte.
»Herr, ich bin mir nicht sicher, ob â¦Â«
»Ihr könnt Euch sicher sein, dass ich meine, was ich gesagt habe!«, unterbrach der Hochmeister seinen Schreiber. »Es mögen alle den Raum verlassen, die gegenwärtig hier sind! Das gilt für den Schreiber genauso wie für die Wächter! Und
nun haltet mich nicht länger auf und tut, was ich angeordnet habe! Alle!«
Die Wachen verlieÃen ihre Posten rechts und links der Türen, und Melarius begann damit, seine Schriftstücke zu ordnen, um sie in seine Ledermappe zu tun und anschlieÃend ebenfalls das Weite zu suchen.
»Lasst die Pergamente und Papiere hier, Melarius!«, wies der Hochmeister seinen Untergebenen unmissverständlich an. »Lasst sie einfach auf dem Pult liegen.«
»Aber â¦Â«
»Es sollte zwischen einem Schreiber und seinem Hochmeister keine Geheimnisse geben, findet Ihr nicht? Was immer Ihr geschrieben habt, habt Ihr in meinem Auftrag geschrieben. Also kann ich es auch sehen, wenn mir danach ist. Aber seid beruhigt! Meine Fähigkeiten im Lesen und Schreiben gehen nicht über das Nötigste hinaus!«
»Sehr wohl.«
Melarius deutete eine Verbeugung an und verlieà nur zögerlich und irgendetwas Unverständliches vor sich hin murmelnd den Audienzsaal. Geräuschvoll schloss sich eine der schweren Türen hinter ihm.
Ludwig schritt auf Johannes zu, allerdings blieb die förmliche Distanz gewahrt, die der Amtsantritt mit sich gebracht hatte.
»Dieser Palast ist so hellhörig, dass man manchmal das Gefühl hat, sich gleich auf eine Kanzel stellen und alles hinausposaunen zu können, was man zu sagen hat«, klärte ihn Ludwig auf, dessen Züge sich nur langsam entspannten. »Noch erscheint vielen der Orden als groà und mächtig, aber wir zehren vom Ruhm vergangener Zeiten â und vor allem auch von dem Reichtum, der da erwirtschaftet wurde.«
»Und dabei ist die Nachfrage nach Bernstein, nach meiner
persönlichen Beobachtung, keineswegs zurückgegangen«, stellte Johannes fest. »Wie ich hörte, werden in Nürnberger Werkstätten daraus inzwischen sogar Augengläser geschliffen, die einem im Alter das Sehen erleichtern!«
»So ist es! Meinem Schreiber Melarius, diesem Inventarstück der Marienburg, hat mein Vorgänger bereits solche Gläser herstellen lassen, denn es ist nicht zu leugnen, dass das Alter bei ihm inzwischen seinen Tribut fordert.« Ludwig zuckte die breiten Schultern. »Doch er trägt sie nicht. Es scheint, als ob sich die Eitelkeit selbst innerhalb eines Ordens, der seine Mitglieder zu Armut und Gehorsam verpflichtet, ausbreitet wie ein Fieber, das von Mensch zu Mensch springt.«
»Dass dem Orden der Wind scharf ins Gesicht bläst, kann man überall hören«, kam Johannes wieder auf den Ausgangspunkt dessen zurück, womit der Hochmeister das Gespräch begonnen hatte. Es drängte ihn zu wissen, was der Grund dafür war, dass ihn sein alter Weggefährte mit einer so auÃerordentlichen Dringlichkeit in seine Residenz beordert hatte. Dies war ganz fraglos nicht um der alten Zeiten willen geschehen, sondern musste einen triftigen Grund haben.
»Die Hanse scheint sich vom Verbündeten zum heimlichen Gegner zu wandeln«, gab Ludwig seine Sicht der Lage bekannt. »Die Danziger und ihr sogenannter Bund gegen Gewalt finden sowohl in Lübeck als auch in Polen offene Ohren.
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