Die Bernsteinhandlerin
und Ordensherr. Dieser war niemand anderem verantwortlich als dem Papst und hatte keinen weltlichen Herrn über sich. Seitdem die Lehenshoheit des Königreichs Jerusalem erloschen war, hatte sich der Orden diese Unabhängigkeit erhalten können.
So betrachtete sich der Orden einerseits als ein Teil des Heiligen Römischen Reiches und fühlte sich den Landesfürsten
gleichgestellt. Andererseits ordnete sich der Hochmeister zwar dem Papst, nicht jedoch dem Kaiser unter.
Jetzt näherte sich Johannes achtungsvoll, schlug den Mantel zur Seite und kniete nieder, während der Hochmeister ihm noch immer den Rücken zuwandte und in einem Dokument las. An einem Tisch stand der Schreiber des Hochmeisters â Melarius von Cleiwen â und wartete darauf, dass ihm sein Herr irgendeine Anweisung gäbe.
Melarius gehörte dem geistlichen Zweig des Ordens an und war Priester. In seinem ganzen Leben hatte er noch kein Schwert in den Händen gehabt. Stattdessen focht er mit dem Federkiel für den Orden.
Der Priester war ein Mann von Mitte sechzig, auch wenn er jünger wirkte. Er hatte schon einer ganzen Reihe von Hochmeistern mit dem Federkiel und guten Ratschlägen gedient, und wie es aussah, schätzte der neue Herr auf der Marienburg gleichfalls die besonderen Fähigkeiten dieses Mannes, von dem manche munkelten, er sei eine graue Eminenz, die aus dem Hintergrund heraus den Orden in Wahrheit regierte.
»Was erdreisten sich diese Stände!«, fuhr Ludwig nun auf. Der Hochmeister war seit jeher für sein cholerisches Temperament gefürchtet, obwohl er auf der anderen Seite zudem den Ruf hatte, besonders tatkräftig und energisch zu sein. Das Hochkapitel des Ordens war wohl mehrheitlich zu der Ansicht gelangt, dass genau solch ein Mann den Orden in dieser auÃerordentlich schwierigen Phase seiner Geschichte führen sollte. »Was bilden sich die Wichtigtuer eigentlich ein?«
»Mit Verlaub, Eure Vorgänger haben den Ständen die Abhaltung eines regelmäÃigen Landtages zugesagt und sich an diese Zusage auch gehalten. Ihr werdet in diesem Punkt das Rad der Entwicklung wohl kaum zurückdrehen können.«
»Da mögt Ihr recht haben, Melarius. Leider fehlt uns dazu
die Macht â¦Â« Wütend zerknüllte er das Pergament in seiner Hand zu einem kleinen Ball und schleuderte es dann von sich. »Gründlich aufräumen sollte man mit diesem vermaledeiten Pack! Die denken doch nur an ihre eigenen Pfründen und behaupten auch noch, sie würden im Interesse aller handeln! Und dieser sogenannte Bund gegen Gewalt übt doch selbst Gewalt aus â oder mit welchen Worten würdet Ihr es beschreiben, wenn die Danziger Pfeffersäcke insgeheim mit der Hanse paktieren und sich vom polnischen König Versprechungen machen lassen! Das ist doch nichts als Gewalt oder zumindest die Androhung davon!«
Melarius blieb vollkommen ruhig und wirkte fast unbeteiligt. Sein aschfahles Gesicht wirkte auf Johannes wie eine starre, leblose Maske. Nur das leichte Flackern in seinen Augen verriet, dass er sich auf diese Weise vermutlich seine eigenen Gedanken zu dieser Angelegenheit bewahrte.
»Was soll Eurer Meinung nach den Mitgliedern des bisherigen Landtages geantwortet werden?«, fragte Melarius.
»Denkt Euch ein paar milde Worte aus, die diese Narren beschwichtigen«, wies der Hochmeister seinen Schreiber an. »Und vielleicht tut sich in nächster Zeit ja auch endlich etwas vor dem Reichskammergericht, wenn wir schon das Wohlwollen des Kaisers nicht haben!«
Endlich drehte sich Ludwig von Erlichshausen zu seinem Gast um. Johannes hatte geduldig abgewartet, bis sein Herr ihn bemerkte.
Ludwig rückte den Hochmeisterring zurecht, den er an der rechten Hand trug und der eines der Insignien seiner Macht war. Eine verräterische Geste!, dachte Johannes. Sie verriet, dass sich der neue Hochmeister noch nicht voll und ganz mit seinem Amt arrangiert hatte.
Früher hatten sie oft darüber geredet, dass es für den Orden
doch eigentlich das Beste wäre, keinen Mann aus den eigenen Reihen an die Spitze zu setzen, sondern einen verdienten und geachteten Reichsfürsten. Die Stellung gegenüber Reich, Kaiser und sogar dem Papst wäre dann um ein Vielfaches vorteilhafter gewesen. Trotzdem hatte sich die Mehrheit des Hauptkapitels nicht dazu durchringen können. Und ob Ludwig in den letzten Jahren seine Meinung zu dieser Sache geändert
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