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Die Berufung

Titel: Die Berufung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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Nachschubs nicht verlassen konnte. Und jeder Tropfen, der getrunken wurde oder die menschliche Haut berührte, kam aus einer Flasche, deren Inhalt getestet und für unbedenklich erklärt worden war. Gegen das Problem des Badens und Waschens war das des Kochens eine Kleinigkeit. Hygiene war ein täglicher Kampf, und die meisten Frauen in Bowmore trugen das Haar kurz. Viele Männer hatten Barte.
    Die Vorgeschichte war legendär. Vor zehn Jahren hatte die Stadt eine Sprinkleranlage für ein Baseballfeld installiert, doch das Gras war umgehend braun geworden und verdorrt. Das städtische Schwimmbad wurde geschlossen, nachdem man so viel Chlor in das Becken gepumpt hatte, dass das Wasser brackig wurde und wie eine Kloake stank. Als die Methodistenkirche brannte, musste die Feuerwehr feststellen, dass das Wasser nicht löschte, sondern den Brand noch anheizte. Schon Jahre vor dieser Episode hatten einige Einwohner von Bowmore vermutet, dass die Lackierung eines Autos rissig wurde, wenn man es einige Male mit dem verseuchten Wasser wusch.
    Und wir haben die Brühe jahrelang getrunken, dachte Jeannette. Haben sie getrunken, als sie zu stinken begann. Als sich die Farbe änderte. Als die Stadt sie wegen unserer Beschwerden testen ließ und versicherte, sie sei gesundheitlich unbedenklich. Wir tranken das Wasser, nachdem wir es abgekocht hatten. Nahmen es für Kaffee und Tee, dachten, die Hitze würde Krankheitserreger abtöten. Und als wir es nicht mehr tranken, haben wir es weiter zum Duschen und Baden benutzt und die Dämpfe eingeatmet.
    Was hätten wir tun sollen? Uns jeden Morgen an einer Quelle treffen, wie die alten Ägypter? Das Wasser in Krügen auf unseren Köpfen nach Hause schleppen? Einen eigenen Brunnen bohren für zweitausend Dollar pro Loch, um dann auf die gleiche faulige Brühe zu stoßen wie die Stadt? Nach Hattiesburg fahren, um einen Wasserhahn zu suchen und es in Eimern zurückzubringen?
    Sie hörte noch die Worte, mit denen alles abgestritten worden war - vor langer Zeit, als Fachleute auf Tabellen zeigten und dem Stadtrat und den Bürgern, die sich in einem übervölkerten Saal versammelt hatten, wieder und wieder versicherten, das Wasser sei getestet worden, es bestehe kein Grund zur Sorge, wenn man es vorschriftsgemäß mit einer großen Dosis Chlor behandle. Sie hörte noch jene illustren Experten, die Krane Chemical vor Gericht aufmarschieren ließ, damit sie der Jury erklärten, ja, es habe in dem Werk in Bowmore im Lauf der Jahre immer mal wieder die eine oder andere unbedeutende »undichte Stelle« gegeben, aber es bestehe kein Grund zur Sorge, weil Bichloronylen und andere »nicht autorisierte« Substanzen von der Erde absorbiert und schließlich von einem unterirdischen Fluss weggeschwemmt worden seien. Für die Qualität des Trinkwassers der Stadt bestehe keinerlei Gefahr. Und sie hörte noch die von staatlichen Stellen geschickten Wissenschaftler mit ihrer abgehobenen Terminologie, die die Menschen herablassend behandelten und ihnen versicherten, das Wasser, dessen Gestank kaum zu ertragen war, könne bedenkenlos getrunken werden.
    Auch als immer mehr Menschen starben, wurde weiterhin alles abgestritten. Überall in Bowmore gab es Krebskranke, in jeder Straße, in fast jeder Familie. Viermal so viele wie im Landesdurchschnitt. Dann fünfmal, zehnmal so viele. Vor Gericht hatte ein von den Paytons angeheuerter Fachmann der Jury erklärt, im Stadtgebiet von Bowmore seien Krebserkrankungen fünfzehnmal häufiger als im Landesdurchschnitt.
    Es gab so viele Krebsfälle, dass sich alle möglichen Wissenschaftler von staatlichen und privaten Forschungsinstituten in der Stadt herumtrieben. Der Ausdruck »Krebscluster« war überall zu hören, Bowmore hatte seinen schlechten Ruf weg. Ein cleverer Journalist taufte Cary County in »Krebs-County« um, und der Name blieb hängen.
    Krebs-County. Das Wasser bescherte der örtlichen Handelskammer große Probleme. Die wirtschaftliche Entwicklung der Region kam zum Erliegen, mit der Stadt ging es rapide bergab.
    Jeannette drehte den Hahn zu, aber das Wasser war weiter da, in den unsichtbaren Leitungen und irgendwo in der Erde unter ihr. Es war immer da, wie ein Feind mit unendlicher Geduld. Still und tödlich, vergiftet von Krane Chemical.
    Oft lag sie nachts wach und lauschte auf das Geräusch des Wassers in den Leitungen.
    Man sah einen tropfenden Wasserhahn als so gefährlich an wie ein dubioses Subjekt mit einer Schusswaffe.
    Flüchtig bürstete sie ihr

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