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Die Beschenkte

Die Beschenkte

Titel: Die Beschenkte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Cashore
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der schlafenden Prinzessin lag, wanderten ihre Gedanken nach Osten zu einer Hütte an einem Wasserfall und nach Norden zu einem Arbeitszimmer in einem Schloss, zu einer Gestalt, die sich über ein Buch beugte, über ein Becherglas oder ein Feuer.
    Wie sie sich wünschte, sie könnte Bitterblue nach Norden, nach Randa City, bringen und sie dort verstecken, wie sie ihren Großvater versteckt hatten! Nach Norden zu Raffins Trost, Raffins Geduld und Obhut. Doch selbst wenn sie das Problem ihrer eigenen Stellung an Randas Hof ignorierte, war es undenkbar, das Kind an einem so offensichtlichen Ort zu verstecken, so nah an Lecks Machtbereich, und ebenso undenkbar, die Menschen, die Katsa am nächsten standen, dieser Gefahr auszusetzen. Sie würde Raffin nicht in Kontakt mit einem Mann bringen, der anderen die Vernunft raubte und ihre Absichten verzerrte. Sie würde Leck nicht zu ihren Freunden führen. Sie würde ihre Freunde überhaupt nicht in die Sache hineinziehen.
    Sie und das Kind würden morgen aufbrechen. Sie würde das Pferd zuschanden reiten. Sie würden eine Möglichkeit finden, nach Lienid überzusetzen und sie würde das Kind verstecken. Und dann würde sie nachdenken.
    Sie schloss die Augen und befahl sich zu schlafen.

Katsas erster Blick auf das Meer war wie ihr erster Blick auf die Berge, obwohl Berge und Meer sich in keiner Weise glichen. In den Bergen war es still, und das Meer war brausendes Geräusch, Stille und wieder brausendes Geräusch. Die Berge waren hoch und das Meer war eine Ebene, die sich so weit ausdehnte, dass Katsa überrascht war, keinerlei Lichterfunkeln eines fernen Landes zu sehen. Sie ähnelten sich nicht im Geringsten. Aber Katsa konnte nicht aufhören, das Meer zu betrachten und die Seeluft einzuatmen, und so hatten auch die Berge auf sie gewirkt.
    Das Tuch, das sie über ihr grünes Auge gebunden hatte, engte ihre Sicht ein. Katsa hätte es zu gern abgerissen, doch sie wagte es nicht, nachdem sie es so weit geschafft hatten, zuerst durch die Außenbezirke und schließlich mitten durch die Straßen der Stadt. Sie waren nur bei Nacht weitergegangen, und niemand hatte sie erkannt. Und das bedeutete, dass sie niemanden hatten töten müssen. Hier und da hatte es ein Handgemenge gegeben, wenn in einer dunklen Straße ein paar Rüpel ein bisschen zu neugierig auf die beiden Jungen reagiert hatten, die um Mitternacht nach Süden zum Meer schlichen. Doch nie hatte sie jemand erkannt, und nie gab esmehr Ärger, als Katsa ausräumen konnte, ohne Verdacht zu erregen.
    Sie waren in Suncliff, der größten Hafenstadt von Sunder und der mit dem regsten Handelsverkehr. Bei Nacht kam Katsa die Stadt verwahrlost und hässlich vor, voll enger, schäbiger Straßen, die aussahen, als führten sie zu einem Gefängnis oder einem Elendsviertel und nicht zu dieser erstaunlichen Weite aus Wasser. Wasser, das sich in alle Richtungen ausdehnte, sie erfüllte, jedes Wissen über die Trunkenbolde und Diebe, die zerfallenen Gebäude und Straßen in ihrem Rücken auslöschte.
    »Wie sollen wir ein Schiff aus Lienid finden?«, fragte Bitterblue.
    »Nicht nur ein Schiff aus Lienid«, sagte Katsa. »Ein Schiff aus Lienid, das nicht kürzlich in Monsea gewesen ist!«
    »Ich könnte mich erkundigen«, sagte Bitterblue, »während du dich versteckst.«
    »Auf keinen Fall! Selbst wenn du nicht wärst, wer du bist, wäre dieser Ort gefährlich. Selbst wenn es nicht Nacht wäre. Selbst wenn du nicht so klein wärst.«
    Bitterblue schlang eng die Arme um sich und drehte dem Wind den Rücken zu. »Ich beneide dich um deine Gabe.«
    »Gehen wir«, sagte Katsa. »Wir müssen noch heute Nacht ein Schiff finden, sonst verbringen wir den morgigen Tag damit, uns unter den Augen von Tausenden von Menschen zu verstecken.«
    Katsa legte dem Mädchen beschützend den Arm um die Schultern. Sie suchten sich einen Weg über die Steine zu den Straßen und Treppen, die hinunter zu den Hafenanlagen führten.
    Die Docks waren unheimlich bei Nacht. Die Schiffe glichen schwarzen Körpern, die so hoch wie Burgen aus dem Meer zu ragen schienen, mit Mastskeletten, schlaffen Segeln und den Stimmen unsichtbarer Menschen, die von der Takelage herunterschallten.
    Jedes Schiff war sein eigenes kleines Königreich mit eigenen Wachen, die mit gezogenen Schwertern vor dem Landungssteg standen, und eigenen Seeleuten, die zwischen Deck und Dock hin- und hergingen oder sich um kleine Feuer an der Küste drängten. Zwei Jungen, die sich bei den Schiffen

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