Die Beschenkte
kam es Katsa zumindest vor, als sie und Bitterblue unter den Bäumen am Rande der Stadt warteten, bis es dunkel wurde. Der Laden war von ansehnlicher Größe und das braune Haus, das sich darüber erhob, war riesig. Das musste es auch sein, dachte Katsa, um so viele Kinder zu beherbergen. Während im Lauf des Tages immer mehr Kinder aus dem Gebäude liefen, um die Hühner zu füttern, den Händlern beim Ausladen ihrer Waren zu helfen, im Hof zu spielen, sich zu prügeln und zu streiten, wünschte Katsa sich, dieser Kontaktmann des Rats hätte seine Fortpflanzungspflicht nicht gar so ernst genommen. Sie würden nicht nur warten müssen, bis die Stadt ruhig geworden war, auch die meisten dieser Kinder müssten schlafen, wenn ihr Erscheinen auf der Schwelle keinen Tumult hervorrufen sollte.
Als die meisten Häuser dunkel waren und nur noch aus einem Fenster im Haus des Ladenbesitzers Licht schien, kamen Katsa und Bitterblue unter den Bäumen hervor. Sie gingen durch den Hof zur Hintertür. Katsa zog den Ärmel überihre Faust und klopfte an das solide Holz aus Sunder, so leise, wie es möglich war, wenn man noch gehört werden wollte. Nach einem Moment bewegte sich das Licht im Fenster, nach einem zweiten wurde die Tür einen Spaltbreit geöffnet und der Ladenbesitzer spähte mit einer Kerze in der Hand zu ihnen heraus. Er betrachtete die zwei schmalen, in Felle gekleideten Gestalten auf seiner Schwelle von oben bis unten und behielt seinen Türgriff fest in der Hand.
»Wenn ihr Essen wollt oder ein Bett«, knurrte er, »dann findet ihr am Ende der Straße einen Gasthof.«
Katsas erste Frage war die gefährlichste und sie wappnete sich gegen die Antwort. »Wir sind auf der Suche nach Informationen. Haben Sie Neues aus Monsea gehört?«
»Nichts seit Monaten. Wir hören in dieser Ecke der Wälder wenig aus Monsea.«
Katsa atmete aus. »Halten Sie Ihr Licht an mein Gesicht.«
Der Mann brummte. Er streckte den Arm durch den Türspalt und hielt die Kerze an Katsas Gesicht. Zuerst kniff er die Augen zusammen, dann riss er sie auf, und sein ganzes Verhalten änderte sich. Im nächsten Moment hatte er die Tür geöffnet, die beiden ins Haus gezogen und hinter ihnen den Riegel vorgelegt.
»Verzeihen Sie, My Lady.« Er bat sie zum Tisch und zog Stühle darunter hervor. »Bitte, bitte setzen Sie sich. Marta!«, rief er in den angrenzenden Raum. »Essen«, sagte er zu der verwirrten Frau, die an der Tür erschien, »und mehr Licht! Und wecke …«
»Nein!«, sagte Katsa scharf. »Nein. Bitte wecken Sie niemanden. Niemand darf wissen, dass wir hier sind.«
»Natürlich, My Lady. Sie müssen verzeihen, ich – ich …«
»Sie haben uns nicht erwartet«, sagte Katsa. »Wir verstehen das.«
»In der Tat«, sagte der Mann. »Wir haben gehört, was an König Randas Hof geschehen ist, My Lady, und dass Sie mit dem Prinzen von Lienid durch Sunder gereist sind. Aber irgendwo unterwegs haben die Gerüchte Sie verloren.«
Die Frau kam geschäftig herein und stellte eine Platte mit Brot und Käse auf den Tisch. Ein Mädchen etwa in Katsas Alter folgte mit Bechern und einem Krug. Den Schluss bildete ein junger Mann, noch größer als Raffin, er zündete die Fackeln an den Wänden rund um den Tisch an. Katsa hörte einen schwachen Seufzer und warf einen Blick auf Bitterblue. Das Kind starrte mit weit geöffneten Augen und wässrigem Mund auf das Brot und den Käse vor sich. Sie erwiderte Katsas Blick und flüsterte: »Brot!« Katsa musste lächeln.
»Iss, Kind«, sagte sie.
»Selbstverständlich, junge Dame«, sagte die Frau. »Essen Sie, so viel Sie wollen.«
Katsa wartete, bis alle saßen und Bitterblue sich zufrieden ein Stück Brot in den Mund gestopft hatte. Dann begann sie zu sprechen.
»Wir brauchen Informationen. Wir brauchen Rat. Wir brauchen ein Bad und etwas zum Anziehen, das Sie erübrigen können – am besten Jungenkleidung. Vor allem aber brauchen wir höchste Geheimhaltung, was unsere Anwesenheit in dieser Stadt betrifft.«
»Wir stehen zu Ihren Diensten, My Lady«, sagte der Ladenbesitzer.
»Wir haben in diesem Haus genug Kleidung für eine ganzeArmee«, sagte seine Frau. »Und alles, was Sie sonst noch brauchen könnten, ist im Laden. Und ein Pferd kann ich Ihnen auch beschaffen, wenn Sie eins wollen. Sie können sicher sein, dass wir Stillschweigen bewahren, My Lady. Wir wissen, was Sie mit Ihrem Rat geleistet haben, und wir werden für Sie tun, was wir nur können.«
»Wir danken Ihnen.«
»Was für
Weitere Kostenlose Bücher