Die Beschenkte
Katsa diese Person wahrscheinlich bestrafen.«
Katsa legte die Gabel weg und sah Giddon an. Diese Freundlichkeit hatte sie von ihm nicht erwartet.
»Verstehst du?«, fragte Giddon das Mädchen.
Sie nickte und linste zu Katsa.
»Vielleicht möchtest du ihr die Hand geben«, sagte Giddon.
Das Mädchen überlegte. Dann beugte sie sich vor und hielt Katsa die Hand entgegen. Katsa überkam ein Gefühl, das sienicht recht benennen konnte. Eine Art trauriger Freude über dieses kleine Wesen, das sie berühren wollte. Katsa streckte die Hand aus und nahm die dünnen Finger des Kindes. »Es ist mir eine Freude, dir zu begegnen, Lanie.«
Lanies Augen wurden groß, dann ließ sie Katsas Hand fallen und rannte in die Küche. Oll und Giddon lachten.
Katsa wandte sich an Giddon. »Ich bin dir sehr dankbar.«
»Du tust nichts, um deinen Ruf als Ungeheuer loszuwerden«, sagte Giddon. »Und du weißt das, Katsa. Kein Wunder, dass du nicht mehr Freunde hast.«
Das sah ihm ähnlich, eine freundliche Geste in eine Kritik ihres Charakters zu verwandeln. Er liebte es, auf ihre Fehler hinzuweisen. Und er wusste nichts über sie, wenn er glaubte, sie sehne sich nach Freunden.
Katsa widmete sich ihrer Mahlzeit und achtete nicht auf das Gespräch der beiden.
Es hörte nicht auf zu regnen. Giddon und Oll waren damit zufrieden, im Gastraum zu sitzen und mit den Händlern und dem Wirt zu reden, doch Katsa glaubte vor Untätigkeit schreien zu müssen. Sie ging hinaus zu den Ställen, zum Entsetzen eines Jungen, wenig größer als Lanie, der auf einem Hocker stand und ein Pferd striegelte. Ihr Pferd, erkannte sie, als sich ihre Augen an das trübe Licht gewöhnt hatten.
»Ich wollte dich nicht erschrecken«, sagte Katsa. »Ich suche nur einen Ort, wo ich meine Übungen machen kann.«
Der Junge stieg vom Hocker und floh. Katsa hob resigniert die Hände. Nun, wenigstens hatte sie jetzt den Stall für sich. Sie räumte Heuballen, Sättel und Rechen weg, bekam so etwas freien Raum gegenüber den Boxen und begann miteiner Reihe von Tritten und Schwüngen. Sie drehte sich, schlug Saltos und war sich dabei der Luft, des Bodens, der Wände und der Pferde bewusst. Sie konzentrierte sich auf ihre eingebildeten Gegner und dabei wurde sie ruhig.
Beim Abendessen hatten Oll und Giddon interessante Neuigkeiten.
»König Murgon hat einen Raub gemeldet«, sagte Oll. »Vor drei Nächten.«
»Wirklich?« Katsa betrachtete erst Oll, dann Giddon. Beide sahen aus wie Katzen, die eine Maus in die Enge getrieben hatten. »Und was, sagt er, wurde geraubt?«
»Er sagt nur, dass ein großer Schatz des Hofs gestohlen wurde«, erklärte Oll.
»Himmel«, sagte Katsa. »Und wer hat ihm diesen Schatz angeblich geraubt?«
»Manche sagen, es war ein beschenkter Junge«, berichtete Oll, »eine Art Hypnotiseur, der die Königswache eingeschläfert hat.«
»Andere sprechen von einem erwachsenen Mann, einem Beschenkten, so groß wie ein Ungeheuer«, sagte Giddon, »ein Kämpfer, der einen Wachmann nach dem anderen niedergeschlagen hat.« Giddon lachte geradeheraus, und Oll lächelte in sein Essen.
»Das sind ja interessante Neuigkeiten.« Katsa hoffte, unschuldig zu klingen, als sie fortfuhr: »Habt ihr sonst noch etwas gehört?«
»Die Suche verzögerte sich um Stunden«, berichtete Giddon, »weil zuerst angenommen wurde, jemand am Hof sei schuld. Ein Gast, beschenkt mit der Gabe des Kämpfens.« Ersenkte die Stimme. »Ist das zu glauben? Welch ein Glück für uns.«
Katsa bemühte sich um eine ruhige Stimme. »Was hat er gesagt, dieser Beschenkte?«
»Offenbar nichts Hilfreiches. Er behauptete, nichts von alldem zu wissen.«
»Was haben sie mit ihm gemacht?«
»Ich habe keine Ahnung«, sagte Giddon. »Er ist ein beschenkter Kämpfer. Ich bezweifle, dass sie ihm viel antun konnten.«
»Wer ist er? Woher kommt er?«
»Davon hat niemand etwas gesagt.« Giddon stieß sie mit dem Ellbogen an. »Katsa, komm schon – du verstehst nicht, worum es geht. Es tut nichts zur Sache, wer er ist. Sie haben Stunden mit dem Verhör dieses Mannes verloren. Als sie anfingen, anderswo nach den Einbrechern zu suchen, war es zu spät.«
Katsa glaubte besser zu wissen als Giddon oder Oll, warum Murgon so viel Zeit mit der Befragung gerade dieses Beschenkten verbracht hatte. Und auch warum er es sorgfältig vermieden hatte mitzuteilen, woher der Beschenkte kam. Niemand sollte vermuten, dass der gestohlene Schatz Tealiff war oder dass er Tealiff überhaupt in seinem Verlies
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