Die Beschenkte
Art im Schloss, doch es war der größte und zugleich der Eingang für alle wichtigen Bewohner oder Besucher. Der grüne Boden war so glänzend poliert, dass sich Katsa und ihr Pferd in der Oberfläche spiegelten. Die weißen Wände waren aus einem funkelnden Stein gehauen und ragten so hoch auf, dass sie den Hals recken musste, um die Spitzen der Türmchen zu sehen. Es war sehr imposant, sehr eindrucksvoll. So wie Randa es liebte.
Der Lärm ihrer Pferde und ihre Rufe lockten Menschen auf die Balkone, die sehen wollten, wer gekommen war. Ein Diener kam heraus und begrüßte sie. Im nächsten Moment stürmte Raffin in den Hof.
»Ihr seid da!«
Katsa grinste zu ihm hinauf. Dann sah sie ihn genauer an – und stellte sich dafür auf die Zehen, so groß war er. Sie griff in sein Haar.
»Raff, was hast du dir angetan? Dein Haar ist eindeutig blau.«
»Ich habe ein neues Heilmittel gegen Kopfweh ausprobiert, das in die Kopfhaut einmassiert werden muss«, sagte er. »Gestern glaubte ich, dass ich Kopfweh bekomme, also habe ich es versucht. Offenbar färbt es blondes Haar blau.«
Sie lächelte. »Hat es dich vom Kopfweh geheilt?«
»Nun, wenn ich sonst Kopfweh gehabt hätte, dann ja, aber ich bin nicht überzeugt, dass ich wirklich welches gehabt habe. Hast du Kopfweh?«, fragte er hoffnungsvoll. »Dein Haar ist so dunkel, es würde kaum so blau werden.«
»Ich habe kein Kopfweh. Das habe ich nie. Was hält der König von deinem Haar?«
Raffin grinste. »Er spricht nicht mit mir. Er sagt, das ist ein schockierendes Benehmen für den Sohn des Königs. Bis mein Haar wieder normal ist, bin ich nicht sein Sohn.«
Oll und Giddon begrüßten Raffin und gaben ihre Zügel einem Stalljungen. Sie folgten dem Diener des Königs ins Schloss und ließen Katsa und Raffin allein im Hof, in der Nähe des Gartens und des Plätscherns von Randas Wasserstrahl. Katsa senkte die Stimme und tat, als sei sie mit den Riemen beschäftigt, mit denen ihre Satteltaschen ans Pferd gebunden waren. »Gibt es Neuigkeiten?«
»Er ist nicht aufgewacht«, sagte Raffin, »kein einziges Mal.«
Sie war enttäuscht und fragte leise: »Hast du von einem adligen Lienid gehört, einem Beschenkten mit der Gabe des Kämpfens?«
»Du hast ihn gesehen, stimmt’s?«, sagte Raffin, und sie schaute überrascht zu ihm auf. »Als du in den Hof kamst. Er schleicht hier überall herum. Schwierig, ihm in die Augen zu schauen, was? Er ist der Sohn des Königs von Lienid.«
Er war hier? Das hatte sie nicht erwartet. Sie konzentrierte sich wieder auf die Satteltaschen. »Rors Erbe?«
»Himmel, nein. Er hat sechs ältere Brüder. Er hat den lächerlichsten Namen, den ich je gehört habe für den siebten Erben eines Throns. Prinz Greening Grandemalion.« Raffin lächelte. »Hast du je so was gehört?«
»Warum ist er hier?«
»Das ist ziemlich interessant. Er behauptet, dass er seinen entführten Großvater sucht.«
Katsa schaute von ihren Taschen hinauf in seine lachenden blauen Augen. »Du hast doch nicht …«
»Natürlich nicht. Ich habe auf dich gewartet.«
Ein Junge kam, um ihr Pferd zu holen, und Raffin begann einen Monolog über die Besucher, die sie in ihrer Abwesenheit verpasst hatte. Dann kam ein Diener aus einem der Eingänge.
»Der wird für dich bestimmt sein«, sagte Raffin, »denn ich bin momentan nicht meines Vaters Sohn, mir schickt er keine Diener.« Er lachte und ging. »Ich bin froh, dass du wieder da bist«, rief er ihr zu und verschwand dann durch einen Bogengang.
Der Diener war einer von Randas vertrockneten, naserümpfenden kleinen Männern. »Lady Katsa«, sagte er. »Willkommen daheim. Der König wünscht zu wissen, ob Ihr Auftrag im Osten erfolgreich erledigt wurde.«
»Du kannst ihm sagen, es war erfolgreich«, sagte Katsa.
»Sehr gut, My Lady. Der König wünscht, dass Sie sich zum Abendessen umkleiden.«
Katsa sah ihn aus zusammengekniffenen Augen an. »Wünscht der König noch etwas?«
»Nein, My Lady. Danke, My Lady.« Der Mann verneigte sich und verschwand so schnell wie möglich aus ihrem Blick.
Katsa hob sich die Taschen auf die Schulter und seufzte. Wenn der König wünschte, dass sie sich zum Abendessen umkleidete, dann bedeutete das, sie musste ein Kleid anziehen, das Haar zu einer eleganten Frisur hochstecken und Schmuck in den Ohren und um den Hals tragen. Es bedeutete, dass der König sie neben irgendeinen Lord setzen wollte, der sich eine Frau wünschte, auch wenn sie vermutlich nicht die Frau war, die er im
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