Die Beschenkte
schoben sich Wolken vor die Sterne über dem Lager. Sie brachen schnell und mit einer gewissen Beklommenheit auf. Kurz danach, als sie in den Hof des Gasthauses ritten, wo ihre Pferde auf sie warteten, fielen ihnen Regentropfen auf Arme und Gesichter. Sie schafften es gerade noch zu den Ställen, da öffnete der Himmel seine Schleusen, Wasser rauschte herab und eilige Bäche bildeten sich zwischen den Hügeln rundum.
Das führte zu einem Streit.
»Wir können im Regen weiterreiten«, sagte Katsa. Sie standen im Stall, das Gasthaus war nur zehn Schritt entfernt, aber hinter einer Wasserwand verborgen.
»Auf die Gefahr, die Pferde zu verlieren«, sagte Giddon. »Auf die Gefahr, uns den Tod zu holen. Sei nicht töricht, Katsa.«
»Es ist doch nur Wasser«, sagte sie.
»Erzähl das einem Ertrinkenden!« Giddon funkelte sie wütend an, und sie erwiderte den Blick. Ein Regentropfen aus einem Ritz im Dach klatschte auf ihre Nase und sie wischte ihn wütend weg.
»My Lady!«, sagte Oll. »My Lord!«
Katsa holte tief Luft, schaute in sein geduldiges Gesicht und bereitete sich auf eine Enttäuschung vor.
»Wir wissen nicht, wie lange dieses Unwetter dauern wird«, sagte Oll. »Wenn es einen Tag dauert, sollten wir uns dem nicht aussetzen. Es gibt keinen Grund, bei solchem Wetter zu reiten …«, er hob die Hand, als Katsa etwas erwidern wollte. »Keinen Grund, den wir dem König nennen könnten, ohne dass er uns für verrückt hält. Aber vielleicht dauert der Regen auch nur eine Stunde. Und dann haben wir nur eine Stunde verloren.«
Katsa verschränkte die Arme und zwang sich, ruhig zu atmen. »Es sieht nicht aus wie ein Unwetter, das nur eine Stunde dauert.«
»Dann sage ich dem Wirt, dass wir etwas zu essen brauchen«, sagte Oll, »und Zimmer für die Nacht.«
Der Gasthof lag in einiger Entfernung von den Städten der Middluns, trotzdem wurde er im Sommer häufig von Händlern und Reisenden aufgesucht. Es war ein einfacher quadratischer Bau mit Küche und Speisesaal unten und darüber zwei Stockwerken mit Zimmern. Schlicht, aber sauber und zweckdienlich. Katsa wäre es am liebsten gewesen, wenn von ihrer Anwesenheit nicht so viel Aufhebens gemacht worden wäre. Aber natürlich war man im Gasthof nicht daran gewöhnt, königliche Angehörige zu beherbergen, und die ganze Familie geriet in höchste Aufregung beim Versuch, es der Nichte des Königs, dem Adjutanten des Königs und dem Hauptmann des Königs bequem zu machen. Trotz Katsas Protest musste ein Kaufmann sein Zimmer räumen, damit sie den Blick aus seinem Fenster haben konnte auf eine jetzt unsichtbare Landschaft, die in ihrer Vorstellung doch nur dieselben Hügel aufwies, die sie seit Tagen gesehen hatten.
Katsa wollte den Kaufmann für die Ausquartierung um Entschuldigung bitten. Beim Mittagessen schickte sie Oll mit dieser Botschaft zu ihm. Als Oll die Aufmerksamkeit des Mannes auf Katsas Tisch gelenkt hatte, hob sie ihm ihren Becher entgegen. Er hob ebenfalls seinen Becher und nickte heftig, sein Gesicht war weiß und die Augen tellergroß.
»Wenn du Oll etwas ausrichten lässt, wirkst du so schrecklich überlegen, Eure Ladyschaft«, lächelte Giddon, mit dem Mund voller Eintopf.
Katsa gab keine Antwort. Er wusste genau, warum sie Oll geschickt hatte. Wenn der Mann so war wie die meisten Leute, würde es ihn ängstigen, von ihr selbst angesprochen zu werden.
Das kleine Mädchen, das sie bediente, war schmerzhaft schüchtern. Es sagte kein Wort, nickte nur oder schüttelteden Kopf als Antwort auf ihre Bitten. Es schien den Blick nicht von Katsas Gesicht wenden zu können. Selbst wenn der gutaussehende Lord Giddon es ansprach, schaute es Katsa an.
»Die Kleine denkt, ich fresse sie auf«, sagte Katsa.
»Ich glaube nicht«, entgegnete Oll. »Ihr Vater ist ein Freund des Rats. Wahrscheinlich wird in diesem Haushalt anders über Sie gesprochen als in anderen, My Lady.«
»Sie wird trotzdem Geschichten gehört haben«, sagte Katsa.
»Möglich. Aber ich glaube, sie ist von Ihnen fasziniert.«
Giddon lachte. »Du faszinierst eben, Katsa.« Doch als die Kleine wieder in die Nähe kam, fragte Giddon nach ihrem Namen.
»Lanie«, flüsterte sie und schaute schon wieder zu Katsa hin.
»Siehst du unsere Lady Katsa, Lanie?«, fragte Giddon.
Das Mädchen nickte.
»Macht sie dir Angst?«
Das Mädchen biss sich auf die Lippe und schwieg.
»Sie tut dir nichts«, sagte Giddon, »verstehst du das? Aber wenn jemand anders dir etwas tun sollte, würde Lady
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