Die Beschenkte
nicht wichtig. Ich muss Raffin finden oder Bann.«
Sie beobachtete sein Gesicht. »Du verschweigst mir etwas.«
Er wich ihrem Blick aus. »Wie lange wirst du für Randa unterwegs sein?«
»Wahrscheinlich nicht mehr als ein paar Tage.«
»Wenn du zurück bist, muss ich mit dir sprechen.«
»Warum sprichst du nicht jetzt mit mir?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich muss nachdenken. Ich muss mir über etwas klarwerden.«
Warum war sein Blick so unruhig? Warum schaute er auf den Tisch, auf den Boden, aber nie in ihr Gesicht?
Er sorgte sich um die Schwester seines Vaters. Es machte sich Gedanken um die Menschen, die ihm wichtig waren. Denn so war er, dieser Lienid. Seine Freundschaft war echt.
Jetzt schaute er sie an. Ein ganz schwaches Lächeln zeigte sich auf seinem Gesicht, doch es erreichte nicht die Augen. »Sei mir gegenüber nicht zu wohlwollend, Katsa. Keiner von uns ist in seiner Freundschaft ohne Schuld.«
Damit verließ er sie und suchte Raffin. Sie stand auf und starrte auf den Platz, an dem er gerade gesessen hatte. Undversuchte das unheimliche Gefühl abzuschütteln, dass er gerade einen Gedanken von ihr beantwortet hatte und nicht einen ausgesprochenen Satz.
Nicht zum ersten Mal hatte er sie in diesem Gefühl zurückgelassen. Das war Bos Eigenart. Er kannte ihre Meinung, manchmal noch bevor sie ausgesprochen war. Er schaute sie über den Tisch hinweg an und wusste, dass sie wütend war und warum oder dass sie entschieden hatte, er sehe gut aus.
Raffin hatte ihr gesagt, dass sie nicht aufmerksam sei. Bo war aufmerksam. Und gesprächig. Vielleicht kamen sie deshalb so gut miteinander aus. Sie musste sich Bo nicht erklären, und er erklärte sich ihr, ohne dass sie fragen musste. Sie hatte noch nie jemanden gekannt, mit dem sie so offen sein konnte – so ungewohnt war das Phänomen Freundschaft für sie.
Über all das dachte sie nach, während die Pferde sie nach Westen trugen, bis die Hügel niedriger wurden und einer weiten Ebene mit Wiesen wichen. Der zügige und unbeschwerte Ritt war ein Vergnügen, das sie ablenkte. Giddon war guter Stimmung, denn dies war seine Heimat. Auf ihrem Weg zu einem Gut direkt dahinter würden sie sein Anwesen besuchen. Sie würden in seinem Schloss schlafen, zuerst auf dem Hinweg und dann auf dem Rückweg. Giddon rittschnell, und obwohl Katsa von seiner Gesellschaft nicht begeistert war, konnte sie ausnahmsweise nicht über das Tempo klagen.
»Ist es nicht unangenehm«, fragte Oll, als sie mittags Rast machten, »dass der König Ihnen befohlen hat, Ihren Nachbarn zu bestrafen?«
»Das ist es wirklich«, antwortete Giddon. »Lord Ellis ist ein guter Nachbar. Ich kann mir nicht vorstellen, was ihn dazu gebracht hat, diesen Ärger mit Randa heraufzubeschwören.«
»Nun, er beschützt seine Töchter«, sagte Oll. »Niemand kann ihm deshalb böse sein. Sein Unglück ist nur, dass er sich dadurch mit dem König entzweit.«
Randa hatte ein Abkommen mit einem Adligen aus Nander getroffen, der keine Frau finden konnte, weil sein Besitz im Süden von Nander lag, direkt auf dem Weg der Räuberbanden aus Wester und Estill. Es war ein gefährlicher Ort, besonders für eine Frau. Und es war ein trostloses Gut, sogar ohne genug Bedienstete, denn die Banditen hatten viele getötet oder entführt. Der Adlige suchte verzweifelt eine Frau, so verzweifelt, dass er bereit war, auf ihre Mitgift zu verzichten. König Randa hatte sich erboten, eine Braut für ihn zu finden – unter der Bedingung, dass er und nicht der Adlige aus Nander ihre Aussteuer bekam.
Lord Ellis hatte zwei Töchter im heiratsfähigen Alter, zwei Töchter mit jeweils sehr großer Mitgift. Randa hatte Ellis befohlen, eine Tochter auszuwählen, die er als Braut nach Nander schicken sollte. »Wähle die Tochter mit dem stärkeren Charakter«, hatte Randa geschrieben, »das wird keine Ehe für Empfindliche.«
Lord Ellis hatte sich geweigert, eine seiner Töchter fürdiese Heirat auszusuchen. »Meine Töchter haben beide einen starken Charakter«, antwortete er dem König, »aber ich werde keine ins Ödland von Nander schicken. Der König hat mehr Macht als jeder andere, aber ich glaube nicht, dass er die Macht hat, zu seinem eigenen Vorteil eine unpassende Heirat zu erzwingen.«
Katsa hatte die Luft angehalten, als Raffin ihr sagte, was Lord Ellis geschrieben hatte. Er war ein tapferer Mann, so tapfer wie kaum ein anderer, dem Randa je begegnet war. Randa wollte, dass Giddon mit Ellis redete, und wenn Worte
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