Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Beschenkte

Die Beschenkte

Titel: Die Beschenkte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Cashore
Vom Netzwerk:
wirst gepriesen, nur weil du dich nicht wie ein Ungeheuer benimmst. Sie hätte gern auf Grausamkeit verzichtet, ohne dafür bewundert zu werden.
    »Und jetzt beraten wir hier in diesem Raum ohne Zeugen die Einzelheiten«, sagte sie, »die sich nach unseren künftigen Berichten heute hier ereignet haben.«
    Sie aßen in Giddons Schloss in seinem Esszimmer zu Abend, genau wie am Tag zuvor. Giddon hatte ihr erlaubt, ihm am Hals einen Kratzer mit ihrem Messer zuzufügen, und Oll war damit einverstanden gewesen, dass sie seinen Wangenknochen blau schlug. Sie hätte es auch ohne ihre Einwilligung getan, denn sie wusste, dass Randa Beweise eines Handgemenges erwarten würde. Doch Oll und Giddon hatten eingesehen, wie klug das war, oder sie hatten geahnt, dass es in jedem Fall geschehen würde. Still und tapfer hatten sie es ertragen. Katsa war es nicht leichtgefallen, und sie hatte ihnen so wenig Schmerz zugefügt, wie sie konnte.
    Sie sprachen nicht viel. Katsa brach das Brot, kaute und schluckte. Sie starrte auf das Besteck in ihren Händen, auf ihren silbernen Kelch.
    »Der Lord von Estill«, sagte sie. Die Männer schauten überrascht von ihren Tellern hoch. »Der Lord, der zu viel Holz von Randa gefällt hat. Erinnert ihr euch?«
    Sie nickten.
    »Ich habe ihm nichts getan«, sagte sie. »Das heißt, ich habe ihn bewusstlos geschlagen. Aber ich habe ihn nicht verletzt.« Sie legte ihr Besteck auf den Tisch und schaute von Giddon zu Oll. »Ich konnte nicht. Er hat für sein Vergehen reichlich mit Gold bezahlt. Ich konnte ihn nicht verletzen.«
    Die beiden schauten sie an, dann senkte Giddon den Blick auf seinen Teller. Oll räusperte sich. »Vielleicht hat uns dieArbeit des Rats mit den besseren Seiten unserer Natur in Berührung gebracht.«
    Katsa nahm wieder ihr Besteck, zerschnitt ihre Lammkeule und dachte über Olls Worte nach. Sie kannte ihre Natur. Sie würde sie sofort erkennen, wenn sie ihr begegnete. Sie wäre ein Ungeheuer mit einem blauen und einem grünen Auge, wölfisch und knurrend. Ein hinterhältiges Biest, das in unbeherrschbarem Zorn Freunde anfiel, eine Mörderin, die sich als Handlangerin der königlichen Wut anbot.
    Doch sie war auch ein seltsames Ungeheuer, denn unter ihrem wilden Äußeren war sie ängstlich und von ihrer eigenen Gewalt angewidert. Sie schämte sich für ihre Wildheit. Und manchmal konnte sie die Gewalt nicht über sich bringen und rebellierte auch äußerlich dagegen.
    Ein Ungeheuer, das sich manchmal weigerte, sich wie ein Ungeheuer zu verhalten. Wenn ein Ungeheuer aufhörte, sich wie ein Ungeheuer zu verhalten, hörte es dann auf, ein Ungeheuer zu sein? Wurde es zu etwas anderem?
    Vielleicht würde sie ihre eigene Natur doch nicht erkennen.
    Es gab zu viele Fragen und zu wenig Antworten bei diesem Abendessen in Giddons Schloss. Sie würde lieber mit Raffin oder Bo reisen statt mit Oll und Giddon, sie hätten Antworten der einen oder anderen Art.
    Sie musste sich davor hüten, ihre Gabe im Zorn zu gebrauchen. Das war der Kampf, den ihre Natur mit sich selbst auszutragen hatte.
    Nach dem Essen ging sie zu Giddons Schießplatz in der Hoffnung, das Einschlagen der Pfeile in ein Ziel würde sie beruhigen. Dort fand Giddon sie.
    Katsa hatte allein sein wollen. Doch als Giddon groß und schweigend aus dem Schatten trat, wäre sie am liebsten in einer großen Halle mit Hunderten von Leuten gewesen. Vielleicht sogar auf einem Fest, in einem Kleid und mit schrecklichen Schuhen. Irgendwo anders als allein mit Giddon an einem Ort, wo niemand vorbeikommen und stören würde.
    »Du schießt Pfeile auf ein Ziel im Dunkeln«, sagte Giddon.
    Sie senkte den Bogen. Das war vermutlich wieder eine seiner kritischen Bemerkungen. »Ja«, sagte sie, etwas anderes fiel ihr nicht ein.
    »Schießt du bei Dunkelheit so gut wie bei Licht?«
    »Ja«, sagte sie und er lächelte, was sie nervös machte. Wenn er freundlich war, fürchtete sie, wohin das führen könnte. Arrogant, kritisch und unfreundlich wäre er ihr lieber, wenn sie miteinander allein sein mussten.
    »Es gibt nichts, was du nicht kannst, Katsa.«
    »Sei nicht albern.«
    Aber er schien entschlossen, nicht zu streiten. Er lächelte wieder und lehnte sich an das Holzgeländer, das ihre Bahn von den anderen trennte. »Was wird deiner Meinung nach morgen an Randas Hof geschehen?«
    »Ich weiß es wirklich nicht«, sagte Katsa. »Randa wird sehr wütend sein.«
    »Mir gefällt nicht, dass du mich vor seinem Zorn beschützt, Katsa. Das mag ich

Weitere Kostenlose Bücher