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Die Beschenkte

Die Beschenkte

Titel: Die Beschenkte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Cashore
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hätte er nichts Falsches getan, nichts völlig und absolut Falsches.
    »Bitte, Katsa«, sagte Bo, »bitte hör mir zu. Ich kann nicht dasitzen und irgendwelchen Gedanken zuhören, die ich erfahren möchte. Ich weiß nicht, was du über Raffin denkst, oder was Raffin von Bann hält, oder ob Oll das Essen schmeckt. Du kannst hinter deiner Tür hin und her laufen und daran denken, wie sehr du Randa hasst, und ich weiß lediglich, dass du dort hin und her läufst – bis sich deine Gedanken mir zuwenden. Nur dann weiß ich, was du empfindest.«
    So war es also, wenn man von einem Freund betrogen wurde. Nein. Von einem Verräter, der behauptete, ein Freund zu sein. Als ein so wunderbarer Freund war er ihr erschienen,so mitfühlend, so verständnisvoll – und kein Wunder, wenn er immer ihre Gedanken, ihre Gefühle gekannt hatte. Die perfekte Vorspiegelung von Freundschaft.
    »Nein«, sagte er. »Nein. Ich habe gelogen, Katsa, aber meine Freundschaft war keine Vorspiegelung. Ich bin wirklich immer dein Freund gewesen.«
    Selbst jetzt las er ihre Gedanken! »Hör auf«, zischte sie. »Hör auf. Wie kannst du es wagen, du Verräter, du Betrüger, du …«
    Sie fand keine Worte, die stark genug waren. Doch jetzt senkte er unglücklich die Augen, und sie sah, dass er spürte, was sie sagen wollte. Sie war auf eine grausame Weise froh, dass seine Gabe ihm mitteilte, was sie nicht ausdrücken konnte. Er sank gegen den Tisch, sein Gesicht vor Trauer verzerrt. Als er sprach, war seine Stimme tonlos.
    »Nur zwei Menschen haben von meiner Gabe gewusst: meine Mutter und mein Großvater. Und jetzt Raffin und du. Mein Vater weiß es nicht, meine Brüder ebenso wenig. Meine Mutter und mein Großvater haben mir verboten, es jemandem zu sagen, sowie ich es ihnen als Kind enthüllte.«
    Gut. Sie würde sich um dieses Problem kümmern. Giddon hatte Recht, auch wenn er nicht wissen konnte, warum: Bo war nicht zu trauen. Die Leute mussten es erfahren, und sie würde es jedem erzählen.
    »Wenn du das tust«, sagte Bo, »nimmst du mir jede Freiheit. Du wirst mein Leben zerstören.«
    Da schaute sie ihn an, doch sein Bild verschwamm hinter den Tränen, die ihr in die Augen schossen. Sie musste gehen. Sie musste diesen Raum verlassen, weil sie ihn schlagen wollte, und zwar so, wie sie es nach ihrem Schwur nie tundürfte. Sie wollte ihm Schmerz zufügen, weil er einen Platz in ihrem Herzen eingenommen hatte, den sie ihm nur eingeräumt hatte, weil sie die Wahrheit nicht kannte.
    »Du hast mich angelogen!« Sie drehte sich um und lief hinaus.
    Helda deutete ihre feuchten Augen und ihr Schweigen sofort richtig. »Ich hoffe, niemand ist krank, My Lady.« Sie setzte sich neben Katsas Badewanne und knetete Seife in das wirre Haar ihrer Herrin.
    »Es ist niemand krank.«
    »Dann hat Sie etwas verstimmt«, sagte Helda. »Sicher einer Ihrer jungen Männer.«
    Einer ihrer jungen Männer. Einer ihrer Freunde. Die Liste ihrer Freunde nahm ab von wenigen auf noch weniger. »Ich habe dem König nicht gehorcht«, sagte Katsa. »Er wird sehr zornig auf mich sein.«
    »So? Aber das erklärt nicht den Schmerz in Ihren Augen. Daran wird einer Ihrer jungen Männer schuld sein.«
    Katsa seufzte, doch sie schwieg. Jeder in diesem Schloss war Gedankenleser. Jeder konnte sie durchschauen, nur sie sah nichts.
    »Wenn der König zornig auf Sie ist«, erklärte Helda, »und Sie Ärger mit einem Ihrer jungen Männer haben, dann machen wir Sie für den Abend besonders schön. Sie sollten Ihr rotes Kleid tragen.«
    Katsa musste fast lachen über diese Kostprobe von Heldas Logik, doch das würgende Gefühl in ihrer Kehle erstickte das Lachen. Nach dieser Nacht würde sie den Hof verlassen. Sie wollte nicht länger hier sein in der Nähe von Randas Wut,Giddons sarkastischem verletztem Stolz und, das vor allem, Bos Verrat.
    Später, als Katsa angezogen war und Helda vor dem Feuer mit ihrem nassen Haar kämpfte, klopfte jemand an ihre Tür. Wieder wurde Katsa die Kehle eng, denn es würde ein Bediensteter sein, der sie zu ihrem Onkel rief, oder, noch schlimmer, Bo kam, um ihre Gedanken zu lesen und sie erneut mit seinen Erklärungen und Entschuldigungen zu verletzen. Doch als Helda zur Tür ging, kam sie mit Raffin zurück.
    »Es ist nicht der, den ich erwartet habe«, sagte Helda. Sie faltete die Hände über dem Bauch und schnalzte mit der Zunge.
    Katsa presste ihre Finger an die Schläfen. »Ich muss allein mit ihm reden, Helda.«
    Helda ging. Raffin setzte sich mit

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