Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Beschenkte

Die Beschenkte

Titel: Die Beschenkte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Cashore
Vom Netzwerk:
hat.«
    »Fast alle deine Gedanken gehören nur dir allein«, sagte er. »Meine Gabe zeigt mir nur, wie du in Bezug auf mich empfindest. Wo du dich befindest, wenn du in der Nähe bist; was du tust und alle Gedanken oder Gefühle oder Instinkte, die du im Hinblick auf mich hast. Ich – ich nehme an, es ist eine Art Selbstschutz«, schloss er lahm. »Jedenfalls kann ich deshalb so gut mit dir kämpfen. Ich spüre die Bewegung deines Körpers, ohne sie zu sehen. Und wichtiger noch, ich spüre die Energie deiner Absichten mir gegenüber. Ich weiß, was du vorhast, bevor du es ausführst.«
    Sie konnte kaum atmen während dieser außergewöhnlichen Offenbarung. Sie fragte sich, ob sich so ihre Opfer fühlten, wenn sie von ihr in die Brust getreten wurden.
    »Ich merke es, wenn jemand mich verletzen will, und wie«, sagte er. »Ich merke es, wenn mich ein Mensch freundlich anschaut oder ob er mir vertraut. Ich merke es, wenn mich jemand nicht mag. Ich weiß es, wenn jemand mich täuschen will.«
    »So wie du mich getäuscht hast«, sagte sie, »über deine Gabe des Gedankenlesens.«
    Er redete beharrlich weiter. »Ja, das stimmt. Aber alles, was du mir über deine Kämpfe mit Randa erzählt hast, Katsa, musste ich aus deinem Mund hören. Und alles, was du mir über Raffin oder Giddon erzählt hast, ebenso. Als ich dir in Murgons Hof begegnete – erinnerst du dich? Als ich dir begegnete, wusste ich nicht, warum du dort warst. Ich konnte deine Gedanken nicht lesen und wusste nicht, dass du gerade dabei warst, meinen Großvater aus Murgons Verliesen zu befreien. Ich war noch nicht einmal sicher, ob mein Großvater in den Verliesen war, denn ich war ihm noch nicht nahe genug, um seine physische Gegenwart zu spüren. Ich hatte auch noch nicht mit Murgon gesprochen. Und aus seinen Lügen noch nichts geschlossen. Ich wusste nicht, dass du jeden Wachmann im Schloss angegriffen hattest. Ich wusste nur, dass du keine Ahnung hattest, wer ich war und ob du mir trauen konntest, dass du mich aber nicht töten wolltest, weil ich ein Lienid war. Möglicherweise hatte das etwas mit einem anderen Lienid zu tun, auch wenn ich nicht herausfinden konnte, mit wem oder welche Rolle er in der Sache spielte. Und außerdem – ich weiß nicht, wie ich es erklären soll, aber ich spürte , dass ich dir vertrauen konnte. Das ist alles, alles, was ich wusste. Und auf Grund dieser Informationen beschloss ich, dir zu vertrauen.«
    »Es muss bequem sein, zu wissen, ob jemand vertrauenswürdig ist«, sagte Katsa bitter. »Wir stünden jetzt nicht hier, wenn ich diese Fähigkeit auch hätte.«
    »Es tut mir leid«, sagte er. »Ich kann dir nicht sagen, wie sehr. Ich fand es furchtbar, dass ich dir nichts davon erzählen konnte. Es hat mich jeden Tag belastet, seit wir Freunde wurden.«
    »Wir sind keine Freunde.« Sie flüsterte es ans Fensterglas.
    »Wenn wir nicht befreundet sind, dann habe ich keine Freunde.«
    »Freunde lügen nicht«, sagte sie.
    »Freunde versuchen zu verstehen«, sagte Bo. »Wie hätte ich dein Freund werden können, ohne zu lügen? Wie viel habe ich riskiert, als ich dir und Raffin die Wahrheit sagte? Was hättest du anders gemacht, Katsa, wenn es deine Gabe und dein Geheimnis wären? Hättest du dich in einer Höhle versteckt und nicht gewagt, jemanden mit deiner Freundschaft zu belasten? Ich werde Freunde haben, Katsa. Ich werde mein Leben leben, auch wenn ich diese Last trage.«
    Er unterbrach sich kurz, seine Stimme war rau und wie erstickt, und Katsa kämpfte gegen seine Verzweiflung an, die sich auf sie übertragen wollte. Sie merkte, dass sie krampfhaft den Fensterrahmen umklammerte.
    »Dir wäre es lieber, wenn ich ohne Freunde wäre, Katsa«, schloss er leise. »Du würdest es vorziehen, wenn meine Gabe jeden Aspekt meines Lebens beherrschen und mich von jedem Glück ausschließen würde.«
    Sie wollte diese Worte nicht hören, die an ihr Mitgefühl, an ihr Verständnis appellierten. Sie, die so viele mit ihrer eigenen Gabe verletzt hatte und deshalb geschmäht worden war. Sie kämpfte schließlich selbst immer noch darum, dass ihre Gabe sie nicht beherrschte, und hatte wie er nie um die Macht gebeten, die ihr die Gabe verlieh.
    »Ja«, sagte er, »ich habe nicht darum gebeten. Ich würde meine Gabe gern für dich abschalten, wenn ich könnte.«
    Da packte sie der Zorn, packte sie wieder, weil sie noch nicht einmal Mitgefühl empfinden konnte, ohne dass er es wusste. Das war Irrsinn. Sie konnte den Irrsinn dieser

Weitere Kostenlose Bücher