Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Beschenkte

Die Beschenkte

Titel: Die Beschenkte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Cashore
Vom Netzwerk:
Moment.« Er hob einen Ast, der in ihren Weg hing, und duckte sich. »Vielleicht wirkt seine Gabe nur bis zu einem bestimmten Punkt.«
    Oder es war gar keine Gabe. Vielleicht war es nur eine lächerliche Idee, ein verzweifelter Versuch, das Unerklärliche zu erklären.
    Doch ein König und eine Königin waren gestorben, und niemand war misstrauisch geworden. Ein König hatte einen alten Mann entführt, und niemand verdächtigte ihn.
    Ein einäugiger König.
    Es war eine Gabe. Wenn nicht, dann musste es etwas Unnatürliches sein.
    Der Pfad wurde schmäler und überwachsener, und sie führten ihre Pferde öfter, als dass sie ritten. Alle Bäume schienen sich auf einmal zu verfärben, die Blätter wurden orange und gelb,purpurrot, violett und braun. Jetzt würde es nur noch ein oder zwei Tage dauern, bis sie den Gasthof erreichten, in dem sie ihre Pferde lassen würden. Und dann kam der steile Anstieg in die Berge, mit ihren Sachen auf dem Rücken. In den Bergen liege Schnee, sagte Bo, und es gebe nicht viele Reisende. Sie müssten vorsichtig sein und auf Stürme achten.
    »Aber du hast keine Angst, oder, Katsa?«
    »Nicht besonders.«
    »Natürlich, du frierst nie, kannst einen Bären mit bloßen Händen erlegen und in einem Schneesturm ein Feuer machen, mit Eiszapfen zum Anfeuern.«
    Sie wollte ihm nicht den Gefallen tun zu lachen, doch ein Lächeln konnte sie nicht unterdrücken. Sie hatten ihr Lager für den Abend aufgeschlagen. Katsa fischte, und wenn sie fischte, zog er sie immer auf, weil sie nicht mit einer Schnur angelte, wie er es getan hätte. Wenn sie fischte, zog sie die Stiefel aus, rollte die Hosenbeine hoch und watete ins Wasser. Dann schnappte sie jeden Fisch, der in ihre Reichweite kam, und warf ihn zu Bo ans Ufer. Er lachte über sie, schuppte und zerteilte ihr Abendessen und leistete ihr Gesellschaft.
    »Es gibt nicht viele Leute mit Händen, die schneller sind als Fische«, sagte er.
    Katsa schnappte nach einem silbrig rosa Schimmer, der an ihren Fußgelenken aufblitzte, und schleuderte den Fisch Bo zu. »Es gibt auch nicht viele Leute, die wissen, dass ein Pferd einen Stein im Huf hat, auch wenn es kein Anzeichen dafür gibt. Ich kann vielleicht mein Abendessen so leicht töten, wie ich Menschen töte, aber wenigstens unterhalte ich mich nicht mit Pferden.«
    »Ich unterhalte mich nicht mit Pferden. Ich merke seitneuestem nur, wann sie anhalten wollen. Und wenn wir erst mal angehalten haben, ist es meistens leicht herauszufinden, was nicht stimmt.«
    »Trotzdem, ich finde nicht, dass du es dir leisten kannst, dich über die Seltsamkeit meiner Gabe zu wundern.«
    Bo lehnte sich auf die Ellbogen zurück und grinste. »Ich finde deine Gabe nicht seltsam. Ich denke nur, dass es eine andere Gabe ist, als du glaubst.«
    Sie packte einen dunklen Blitz im Wasser und warf ihm den Fisch zu. »Was ist denn meine Gabe?«
    »Das weiß ich nicht. Aber mit der Gabe des Tötens lässt sich nicht alles erklären, was du kannst. Zum Beispiel, dass du nie müde wirst. Oder nie unter Kälte oder Hunger leidest.«
    »Ich werde sehr wohl müde.«
    »Und noch andere Dinge. Dein Talent, im Regen ein Feuer zu machen.«
    »Ich bin nur geduldiger als andere.«
    Bo schnaubte. »Sicher. Geduld ist mir schon immer als eine deiner hervorstechendsten Eigenschaften aufgefallen.«
    Er duckte sich vor einem fliegenden Fisch und lehnte sich lachend zurück. »Deine Augen glänzen, wenn du so im Sonnenuntergang in diesem Wasser stehst. Du bist wunderschön.«
    Hör auf! »Und du bist ein Narr.«
    »Komm raus, Wildkatze. Wir haben genug Fisch.«
    Sie watete ans Ufer. Er kam ihr entgegen und zog sie auf das Moos. Gemeinsam lasen sie die Fische auf und gingen zum Feuer.
    »Ich werde sehr wohl müde«, sagte Katsa. »Und ich spüre Kälte und Hunger.«
    »Also gut, wenn du es sagst. Aber vergleiche dich mal mit anderen Menschen.«
    Sich mit anderen Menschen vergleichen? Sie setzte sich und trocknete sich die Füße ab.
    »Sollen wir heute Abend kämpfen?«, fragte er.
    Zerstreut nickte sie.
    Er steckte den Fisch über die Flammen, summte, wusch sich die Hände und schickte ihr vom Feuer her Augenblitze. Sie saß da – und versuchte, sich mit anderen Menschen zu vergleichen.
    Manchmal spürte sie Kälte. Aber sie litt nicht darunter wie andere. Und manchmal hatte sie Hunger, aber sie hielt es lange mit wenig Nahrung aus, und der Hunger schwächte sie nicht. Sie konnte sich nicht daran erinnern, sich jemals aus irgendeinem Grund schwach

Weitere Kostenlose Bücher