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Die Beschenkte

Die Beschenkte

Titel: Die Beschenkte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Cashore
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gefühlt zu haben oder je krank gewesen zu sein. Sie dachte zurück und war sicher. Noch nicht einmal einen Husten hatte sie gehabt.
    Katsa starrte ins Feuer. All das war ein bisschen ungewöhnlich. Das sah sie ein. Und sie wusste, dass das noch nicht alles war.
    Sie kämpfte, ritt, rannte und stürzte, aber ihre Haut zeigte selten eine Schürfwunde oder Schwellung. Sie hatte sich noch nie einen Knochen gebrochen. Und sie litt nicht so unter Schmerzen wie andere Leute. Selbst wenn Bo sie sehr heftig traf, war der Schmerz leicht zu ertragen. Wenn sie ehrlich war, musste sie zugeben, dass sie andere Leute nicht verstand, die über Schmerzen klagten.
    Sie ermüdete nicht wie andere. Sie brauchte nicht viel Schlaf. In den meisten Nächten zwang sie sich zum Schlafen, nur weil sie wusste, dass sie das sollte.
    »Bo!«
    Er schaute vom Feuer auf.
    »Kannst du dir befehlen einzuschlafen?«
    »Was meinst du damit?«
    »Ich meine, kannst du dich hinlegen und zum Einschlafen zwingen? Wann immer du willst, und zwar sofort?«
    Er kniff die Augen zusammen. »Nein. Davon habe ich noch nie gehört.«
    »Hm.«
    Er betrachtete sie noch einen Augenblick und beschloss dann offenbar, sie in Ruhe zu lassen. Sie bemerkte es kaum. Noch nie war ihr der Gedanke gekommen, dass ihre Kontrolle über ihren Schlaf ungewöhnlich sein könnte. Und sie konnte sich nicht nur befehlen einzuschlafen. Sie konnte auch bestimmen, wie lange sie schlief. Und wenn sie erwachte, wusste sie immer, wie viel Uhr es war. Sie kannte in jedem Augenblick die genaue Zeit.
    So wie sie immer genau wusste, wo sie war und in welche Richtung sie schaute.
    »Wo ist Norden?«, fragte sie Bo.
    Er schaute auf und prüfte die Lichtverhältnisse. Dann deutete er in eine Richtung, die ungefähr, aber nicht genau nördlich war. Woher wusste sie das mit solcher Sicherheit?  
    Nie verirrte sie sich. Nie hatte sie Schwierigkeiten, ein Feuer zu machen oder einen Unterstand zu bauen. Sie jagte ohne jede Mühe. Ihre Sehkraft und ihr Gehör waren besser als bei anderen Leuten.
    Abrupt stand sie auf, ging die paar Schritte zurück zum See und starrte hinein, ohne etwas wahrzunehmen.
    Körperliche Bedürfnisse, die andere Menschen einschränkten, setzten ihr keine Grenzen. Die Entbehrungen und Mühen, unter denen andere litten, machten ihr nichts aus. Instinktiv wusste sie, wie sie ohne Schwierigkeiten in der Wildnis leben konnte.
    Und sie konnte jeden töten – wenn er ihr Überleben auch nur im Geringsten bedrohte.
    Plötzlich setzte sich Katsa auf die Erde.
    Könnte ihre Gabe das Überleben sein?
    Sowie sie sich das fragte, verneinte sie es. Sie war einfach eine Kämpferin mit der Macht zu töten, und das war sie immer gewesen. Sie hatte vor den Augen von Randas gesamter Hofgesellschaft einen Cousin getötet – einen Mann, der ihr nichts getan hatte, nichts Greifbares. Sie hatte ihn umgebracht, ohne einen Gedanken zu verlieren, ohne Zögern – genau wie sie beinahe ihren Onkel ermordet hätte.
    Aber sie hatte ihren Onkel nicht ermordet. Sie hatte eine Möglichkeit gefunden, das zu vermeiden und dennoch weiterzuleben.
    Und sie hatte nicht gewollt, dass jener Cousin starb. Sie war ein Kind gewesen und ihre Gabe ungeformt. Sie hatte nicht ausgeholt, um ihn zu töten, sie wollte sich nur schützen vor seiner Berührung. Das hatte sie völlig vergessen, als die Angehörigen des Hofs anfingen, sie zu meiden, und Randa begann, sie für seine Zwecke zu benutzen, sie sein mörderisches Kind nannte.
    Ihre Gabe war nicht das Töten. Ihre Gabe war das Überleben.
    Da lachte sie. Denn es klang fast, als sei ihre Gabe das Leben, und das war natürlich lächerlich.
    Sie stand auf und ging zurück zum Feuer. Bo sah sie kommen. Er fragte nicht, was sie dachte, er drang nicht in sie. Er wartete, bis sie es ihm sagen wollte. Katsa sah, wie er sie über die Flammen hinweg musterte. Offenbar war er neugierig.  
    »Ich habe mich mit anderen Menschen verglichen«, sagte sie.
    »Ah ja.« Es klang vorsichtig.
    Sie zog die Haut von dem gebratenen Fisch, schnitt sich ein Stück ab, kaute und überlegte.
    »Bo?«
    Er schaute zu ihr auf.
    »Wenn meine Gabe nicht das Töten wäre, sondern das Überleben …«
    Er zog die Augenbrauen hoch.
    »… würde dich das überraschen?«
    Er schürzte die Lippen. »Nein. Das erscheint mir viel logischer.«
    »Aber – es ist, als würde man sagen, meine Gabe sei Leben.«
    »Ja.«
    »Das ist absurd.«
    »Meinst du? Ich finde nicht. Und es geht nicht nur um dein

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