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Die Beschenkte

Die Beschenkte

Titel: Die Beschenkte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Cashore
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Regen geschützt durch ein Dach aus Ästen, das sie gebaut hatte, bat sie ihn, ihr seine Ringe zu zeigen. Er reichte ihr die Hände. Sie zählte an seiner rechten Hand sechs einfache goldene Ringe in verschiedener Breite. An der linken trug er einen einfachen Ring aus Gold, einen dünneren mit eingelegten grauen Steinen in der Mitte, und einen breiten, schweren mit einem spitzen, glitzernden weißen Stein – der musste sie in jener Nacht am Schießplatz gekratzt haben. Und dann noch einen einfachen goldenen Ring wie den ersten, aber mit dem eingravierten Muster, das sie von seinen Malen am Arm kannte. Dieser Ring brachte sie auf den Gedanken, dass die Ringe vielleicht eine Bedeutung hatten.
    »Ja«, sagte Bo. »Jeder Ring, den ein Lienid trägt, bedeutet etwas. Dieser mit der Gravur ist der Ring des siebten Königssohns. Er steht für mein Schloss und meine Stellung als Prinz. Er ist mein Erbe.«
    Haben deine Brüder einen anderen Ring und Armschmuck?
    »Ja, das haben sie.«
    Katsa berührte den großen, schweren Ring mit dem spitzen weißen Stein. Das ist der Ring eines Königs.
    »Ja, der Ring symbolisiert meinen Vater. Und dieser«, er zeigte auf den kleinen mit der grauen Linie aus Steinen in der Mitte, »meine Mutter, und dieser einfache hier meinen Großvater.«
    War er nie König?
    »Sein älterer Bruder war König. Als sein Bruder starb, wäre er König geworden, wenn er es gewünscht hätte. Doch sein Sohn, mein Vater, war jung, kräftig und ehrgeizig. Mein Großvater war alt und kränklich, und er war damit einverstanden, die Königswürde auf seinen Sohn zu übertragen.«  
    Und was ist mit der Mutter deines Vaters und den Eltern deiner Mutter? Trägst du auch für sie Ringe?
    »Nein. Sie sind tot. Ich habe sie nicht mehr gekannt.«
    Sie nahm seine rechte Hand. Und diese? Du hast gar nicht genug Finger für die Ringe an dieser Hand.
    »Diese hier sind für meine Brüder«, sagte er. »Einer für jeden. Der dickste für den ältesten und der dünnste für den jüngsten.«
    Tragen deine Brüder einen noch dünneren Ring für dich?
    »Ja, und meine Mutter, mein Großvater und mein Vater auch.«
    Warum ist deiner der kleinste, nur weil du der Jüngste bist?
    »So ist es eben, Katsa. Aber der Ring, den sie für mich tragen, ist anders als die anderen. Er hat zwei winzige Steine, einen goldenen und einen silbernen.«
    Für deine Augen.
    »Ja.«
    Ist es wegen deiner Gabe ein besonderer Ring?
    »Ja, die Lienid achten die Beschenkten.«
    Nun, das war etwas Neues. Sie hatte nicht gewusst, dass es jemanden gab, der Beschenkte achtete. Für die Frauen oder Kinder deiner Brüder trägst du keine Ringe?
    Er lächelte. »Zum Glück nicht. Aber für meine eigene Frau würde ich einen tragen und einen für jedes meiner Kinder. Meine Mutter hat vier Brüder, vier Schwestern, sieben Söhne, Vater, Mutter und einen Ehemann. Sie trägt neunzehn Ringe.«
    Das ist absurd. Kann sie ihre Finger noch gebrauchen?
    Er zuckte die Schulter. »Ich habe mit meinen keine Schwierigkeiten.« Er hob ihre Hände an seinen Mund und küsste ihre Knöchel.
    Ich würde nie so viele Ringe tragen.
    Er lachte, drehte ihre Hände um und küsste die Handflächen und Gelenke. »Du würdest gar nichts tun, was du nicht willst.«
    Und das war, was sie an Bos Gabe bald am meisten schätzen lernte: Er wusste, was sie tun wollte, ohne dass sie es ihm sagte. Jetzt sank er mit spitzbübischem Lächeln vor ihr auf die Knie. Seine Hand liebkoste ihre Seite, und dann zog er sie an sich, und seine Lippen streiften ihren Nacken. Sie hielt den Atem an und vergaß, was sie ihm antworten wollte. Und genoss die Kühle seiner goldenen Ringe an ihrem Gesicht, ihrem Körper und an jeder Stelle, die er berührte.
    »Du glaubst, dass Leck diese Tiere selbst aufschlitzt, nicht wahr?«, fragte sie ihn eines Tages, während sie ritten.
    Er schaute sich zu ihr um. »Mir ist klar, dass es ein widerwärtiger Verdacht ist. Aber ja, das glaube ich. Und ich frage mich auch, von welcher Krankheit dieser Mann gesprochen hat.«
    »Du glaubst, dass er Menschen umbringt.«
    Bo zuckte die Achseln und gab keine Antwort.
    »Glaubst du, dass sich Königin Ashen von ihm getrennt und eingeschlossen hat, weil sie herausgefunden hat, dass er ein Beschenkter ist?«
    »Das habe ich mich auch gefragt.«
    »Aber wie konnte sie das merken? Sollte sie nicht ganz in seinem Bann stehen?«
    »Ich habe keine Ahnung. Vielleicht ist er zu weit gegangen mit seinen Untaten und sie hatte einen klaren

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