Die Beschenkte
aber nichts. Sie schaute kurz zu Bitterblue, die nur das Fleisch in ihrer Hand sah. Dann drehte sie sich um, stieg um die Felsen und bahnte sich einen Weg hinunter in die Schlucht.
Als sie mit einer Handvoll gerupfter und ausgenommener Wachteln ins Lager zurückkam, war die Sonne hinter den Bergen versunken. Bo stapelte im Hinteren der Höhle Äste auf. Bitterblue lag in der Nähe, sie war in eine Decke gewickelt.
»Ich glaube, sie hat in den letzten Tagen nicht viel geschlafen«, sagte Bo.
»Jetzt sind ihre Sachen trocken, da wird es ihr bessergehen. Wir halten sie warm und geben ihr was zu essen.«
»Ein stilles kleines Ding, nicht wahr? Winzig für ihre zehn Jahre. Sie hat mir beim Holzsammeln geholfen, bis sie vor Erschöpfung fast umgefallen ist. Ich habe ihr gesagt, sie soll schlafen, bis wir mehr zu essen haben. Ihre Finger umklammern immer noch dieses Messer. Und sie fürchtet sich immer noch vor mir – ich habe das Gefühl, dass sie nicht an Männer gewöhnt ist, die gut zu ihr sind.«
»Bo, langsam glaube ich, dass ich lieber nicht wissen will,worum es hier geht. Noch immer kann ich keinen Sinn darin entdecken. Und die Rolle deines Großvaters verstehe ich überhaupt nicht.«
Bo schüttelte den Kopf und betrachtete das Mädchen, das unter ihren Decken und Jacken auf dem Boden lag. »Ich bin nicht sicher, wie viel das mit Sinn oder Vernunft zu tun hat. Aber wir werden dafür sorgen, dass sie in Sicherheit ist, und wir werden Leck töten. Und irgendwann werden wir die Wahrheit erfahren.«
»Sie wird eine schrecklich junge Königin sein.«
»Ja, daran habe ich auch gedacht. Aber das lässt sich nicht ändern.«
Sie saßen schweigend da und warteten auf die Dunkelheit, die den Rauch ihres Feuers verbergen würde. Bo zog ein weiteres Hemd über das, welches er bereits trug. Sie betrachtete sein Gesicht, seine vertrauten Züge, seine Augen, die das rosa Licht des endenden Tages reflektierten. Dann biss sie sich auf die Lippe gegen ihre Sorge, die ihm nichts helfen würde.
»Wie wirst du es machen?«, fragte sie.
»Wie du gesagt hast sehr wahrscheinlich. Wir sprechen darüber, wenn Bitterblue aufgewacht ist. Ich nehme an, sie wird uns helfen können.«
Helfen, den Mord an ihrem Vater zu planen … Ja, vermutlich würde sie helfen, wenn sie konnte – ein solcher Irrsinn lag in der Luft dieses Königreichs, während sie in ihrem steinigen Lager am Rande der Berge von Monsea saßen.
Der Lichtschein des Feuers, sein Knistern oder der Duft des brutzelnden Fleischs weckten Bitterblue. Mit der Decke umdie Schultern und ihrem Messer in der Hand kam sie zu ihnen an die Flammen.
»Ich werde dir beibringen, wie dieses Messer zu gebrauchen ist, wenn es dir bessergeht«, sagte Katsa zu ihr. »Wie du dich damit verteidigst, wie du einen Mann verletzen kannst. Wir können Bo als Versuchsobjekt benutzen.«
Das Kind schaute Katsa kurz und schüchtern an, dann senkte es den Blick.
»Wunderbar«, sagte Bo. »Es ist ziemlich langweilig, wie du mich immer nur mit Händen und Füßen zu Tode schlägst und trittst. Es wird erfrischend sein, wenn du mal mit einem Messer auf mich losgehst.«
Bitterblue schaute wieder kurz zu Katsa. »Kannst du besser kämpfen als er?«
»Ja«, sagte Katsa.
»Viel besser«, sagte Bo. »Kein Vergleich.«
»Aber Bo hat andere Vorzüge«, erklärte Katsa. »Er ist stärker. Er sieht im Dunkeln besser.«
»Aber im Kampf«, sagte Bo, »kannst du immer auf die Dame setzen, Bitterblue. Selbst im Dunkeln.«
Dann saßen sie schweigend da und warteten, bis die Wachteln durchgebraten waren. Bitterblue schauderte und zog sich die Decke enger um die Schultern.
»Ich hätte gern eine Gabe, mit der ich mich schützen kann«, sagte sie.
Katsa hielt den Atem an und zwang sich, geduldig zu warten, keine Fragen zu stellen.
Nach einem Moment sagte Bitterblue: »Der König will mich haben.«
»Wofür?« Katsa konnte das Wort nicht zurückhalten.
Darauf antwortete Bitterblue nicht. Sie senkte das Kinn auf die Brust, drückte die Arme seitlich an den Körper und machte sich sehr klein. »Er hat eine Gabe«, sagte sie. »Meine Mutter hat es mir erzählt. Sie sagte, er kann mit seinen Worten das Denken der Menschen manipulieren, damit sie glauben, was er sagt. Selbst wenn sie es aus dem Mund eines anderen hören, selbst wenn es ein Gerücht ist, das von ihm kommt und sich weit verbreitet hat. Seine Macht lässt nach, während sie sich verbreitet, doch sie verschwindet nicht.« Unglücklich starrte
Weitere Kostenlose Bücher