Die Beschleunigung der Angst
abhalten
sollte, auf die Fahrbahn zu rennen. Doch schon kurz darauf landete er hart auf
einem angrenzenden Acker.
Thomas‘ geplante Fahrt zur
Polizei endete an einer Eiche. Die Motorhaube wurde auf die Hälfte ihrer
ursprünglichen Größe eingedrückt, als der Baum die Geschwindigkeit des
Fahrzeugs in einer Zehntelsekunde auf null stoppte. Kreischendes Metall
vermischte sich mit dem Bersten der Windschutzscheibe und dem Aufheulen des
Motors, das jedoch so schnell verklang, wie es gekommen war. Der Motorblock
wurde in den Fahrerraum gedrückt und brach Thomas beide Schienbeine mehrfach.
Sein Kopf landete im Airbag, der sich mit einem Knall aus dem Lenkrad
entfaltete. Der Schaltknüppel bohrte sich in seine Hüfte. Der Gurt brach ihm
das Schlüsselbein. Glassplitter steckten ihm im Gesicht.
Die Welt war Schmerz.
Schwarzes Feuer flackerte an
seinen Augenrändern, verkleinerte sein Sichtfeld nach und nach, bis es
schließlich tiefste Nacht war. Thomas sank dankbar in die Umarmung der
Ohnmacht.
Keine Schmerzen mehr.
Daniel drückte sich in den
Freiraum hinter der Vase. Wie lange war Thomas jetzt unterwegs? Er schätzte,
dass eine Stunde vergangen sein musste, seit er seinen Freund mit dem Golf
hatte wegfahren hören, vielleicht sogar mehr. Doch das konnte natürlich
täuschen. Die Zeit hier schien einem anderen Rhythmus zu gehorchen als
außerhalb des Waldes.
Wäre er damals Pfadfinder
geworden, hätte er die Uhrzeit vom Stand des Mondes ablesen können. Doch da er
lieber vor der Glotze gesessen und Captain Future geguckt hatte, sagte ihm der
Blick zum Erdtrabanten nichts, außer dass diesem das Geschehen auf der Erde
herzlich egal war.
In Abständen, die er für
etwa zehn Minuten hielt, schlich er die Stufen zur Haustür hinauf, unter der
das unstete Flackern einer oder mehrerer Kerzen hindurchschimmerte, und
horchte. Er hörte nichts.
Daniel trug die nagelbewehrte
Keule im Anschlag, wenn er an der Tür lauschte. Er fragte sich, ob er dazu in
der Lage wäre, dem Entführer den zweckentfremdeten Zaunpfahl ins Gesicht zu
rammen. Er wusste es nicht. Zwar hatte er zehn lange Monate bei der Bundeswehr
verbracht, hatte mit Maschinengewehren geschossen und Handgranaten geworfen,
doch waren die Gegner dort immer nur Dummies gewesen, Pappkameraden ohne
jeglichen Funken Leben.
Doch der Entführer war ein
Mensch, wenn auch ein Frauen schlagender Freak. Trotzdem schüttelte es Daniel,
wenn er daran dachte, die Nägel im Körper des Fremden zu versenken und ihn
damit ernsthaft zu verletzen. Vielleicht sogar zu töten. Er schloss die Augen,
als er an diese Möglichkeit dachte. Einen Menschen töten. Übelkeit stieg in ihm
auf.
Thomas, bitte mach, dass du
schnell die Polizei hierherbringst. Ich will nach Hause auf die Couch, will
Fußball schauen und nichts wissen von Stalkern und gefesselten Frauen, von
Nagelkeulen und Entführungen.
Und als wäre seine Bitte erhört
worden, konnte er das lauter werdende Brummen eines Motors vernehmen. Kurz
darauf rollte ein Polizeiwagen in den Hof und parkte neben dem Geländewagen.
Kapitel 6
Daniel sah den Polizeiwagen
durch die blattlosen Äste des umgekippten Baumes auf den Hof rollen und neben
dem silbrig schimmernden Geländewagen des Entführers halten. Das Mondlicht
fächerte sich im Plastikmantel des Blaulichts in Hunderte hellblauer
Glühwürmchen. Die Scheinwerfer des Wagens blendeten Daniel und ließen
Schattenspiele toter Zweige auf der Außenmauer der Villa entstehen.
Der Polizist stoppte den
Motor, schaltete das Licht aus und öffnete die Fahrertür. Daniel stand auf und
ging auf den Polizeiwagen zu. Seine Knochen dankten es ihm, und sie knackten
lautstark, und es klang wie eines von Thomas‘ Zweigzerbrechinfernos.
Durch die Baumkrone war
nicht viel zu erkennen. Daniel glaubte nicht, dass der Polizist, der jetzt
neben der offenen Fahrertür stand, ihn schon bemerkt hatte. Er unterdrückte den
Impuls, ihm zuzurufen. Er wollte näher am Gesetzeshüter sein, ansonsten lief er
Gefahr, dass der Entführer ihn hörte. Und spätestens dann würde er auch den
Polizeiwagen bemerken.
Daniel war an der Baumkrone
angekommen. Der Polizist, den er nur durch die Innenbeleuchtung des Wagens
erkennen konnte, schien in Richtung Villa zu blicken. Er griff die Oberseite
der Fahrertür und schlug sie zu. Vögel flüchteten aus den Bäumen, schimpfend,
dass sie in ihrer Ruhe gestört worden waren.
Daniel fand das Verhalten
des Polizisten sonderbar. Sollte er nicht möglichst leise
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