Die Beschleunigung der Angst
befürchtete, dass,
was immer es auch sein mochte, in ihrem und seinem Tod enden würde.
Er musste der Wahrheit ins
Auge sehen: Er hatte es verkackt. Wäre er weggerannt und hätte Hilfe geholt,
direkt, nachdem er von Thomas‘ Unfall erfahren hatte, wäre alles in Butter
gewesen. Oder wenn er wenigstens in der Lage gewesen wäre, das Funkgerät
richtig zu bedienen! Er fürchtete, dass er durch seine Unfähigkeit zwei
Todesurteile unterschrieben hatte.
Ihm blieb nur eine Hoffnung:
dass Thomas rechtzeitig aufwachen würde und lange genug wach bliebe, um die
Polizei zu überzeugen, dass er wirklich eine Entführung beobachtet hatte. Doch
wahrscheinlich wurde Thomas zur Stunde immer noch operiert. Wie hatte die
Polizistin sich ausgedrückt? Sieht verdammt übel aus, hatte sie gesagt. Und
dass sie ihn in den siebten Himmel narkotisiert hatten. Nach der Operation -
und Daniel hoffte, dass es ein danach gab - würde er auf die Intensivstation
gebracht werden. Und wie lange es dauerte, bis Thomas die Augen öffnete und der
Nebel der Anästhesie aus seinen Gehirnwindungen verschwunden war, so dass er
sich an das Geschehene erinnern konnte - das wusste niemand. Daniel wusste nur,
dass seine und die Chancen der Frau, dies hier zu überleben, mit jeder Minute
geringer wurden und schneller dahinschmolzen als ein Schneeball in der Hölle.
Daniel hörte das Klicken und
Kratzen kleiner Pfoten auf Beton. Er blickte sich um, konnte jedoch nicht
ausmachen, was die Geräusche verursachte. Doch er meinte es auch so zu wissen,
zumindest hatte er eine Ahnung, was auf dem nackten Beton umherhuschte und für
dieses Klacken sorgte.
Ratten!
Daniel hasste Ratten. Hasste
ihre knorpeligen Schwänze, das verfilzte Fell, ihre hässlichen, dreieckigen
Schädel mit den schwarzen, mitleidlosen Augen.
Aber Moment, Ratten waren
doch Allesfresser, oder? Er hasste Ratten wirklich, aber vielleicht fand sich
ja ein Exemplar dieser abstoßenden Nager, das einen unbändigen Hunger auf
Plastik hatte und seine Handfesseln durchbiss. Das würde ihn durchaus dazu
bewegen, sein einseitiges Rattenbild einer Revision zu unterziehen.
Er schüttelte den Kopf, als
könne dies den schwachsinnigen Gedanken aus seinen Ohren kippen lassen. Er
hatte noch nie von Ratten gehört, zu deren Leibgericht Kabelbinder zählten.
Doch genau konnte man es nicht wissen. Marder fanden immerhin auch Gefallen
daran, Bremsschläuche bestimmter Automarken anzuknabbern. Und die schmeckten
mit Sicherheit auch nicht besonders.
Nein.
Jetzt galt es, sich zu
konzentrieren und seine Hoffnungen nicht auf geschmacksfehlgeleitete Nagetiere
zu setzen.
Daniel hob den Blick und sah
hinüber zu der Frau, die immer noch reglos auf dem Stuhl saß. Den Kopf hielt
sie vorgebeugt, so dass die Haare ihr Gesicht verdeckten. Der Schnitt an ihrem
Hals schien aufgehört haben zu bluten, jedenfalls gesellte sich zu den
Dutzenden Flecken auf ihrem Shirt kein weiterer am Hemdkragen dazu. Sie tat ihm
leid. Sie war zum Opfer geworden, nur weil sie hübsch war. Und jetzt saß sie
auf einem Stuhl, gefesselt wie Daniel, und wartete auf das, was auch immer
kommen mochte.
Er wollte etwas sagen,
wollte sie trösten, doch er fand keine Worte. Was hätte er schon sagen können,
das ihr Trost gespendet hätte? Alles, was er sich im Geiste zurechtlegte, klang
hohl und trocken, weinerlich oder sogar ausgesprochen dumm.
Also blickte er im Raum
umher, verrenkte sich den Hals, um zu sehen, ob es an der Wand vielleicht einen
spitzen Gegenstand gab, den er dafür benutzen konnte, seine Fesseln zu
durchtrennen. Alles, was ihm die Bewegungen seines Kopfes und des Oberkörpers
einbrachte, waren knackende Geräusche von seinen Halswirbeln und ein Gefühl,
als fließe sein Blut sehr viel heißer durch die Halsgegend.
Er erschrak, als die Frau zu
sprechen begann.
»Du hättest dich nicht
stellen dürfen«, sagte sie unter ihrer Haarpracht hervor. »Du hättest weglaufen
und Hilfe holen sollen.«
»Warum ...«, Daniel
räusperte sich. »Warum sagst du das?«
Seine Worte kamen undeutlich
aus seinem geschwollenen Kiefer, als würde er um einen Tischtennisball herum
sprechen.
Die Krallen auf dem Boden
erhöhten ihre Taktfrequenz. Es klang, als habe jemand eine Packung Reißnägel
fallen lassen. Jetzt, wo die Stille durchbrochen war, flüchteten die Ratten
wahrscheinlich wieder in ihre Verstecke.
»Weil sie uns töten werden.
Deshalb.«
Die Frau schüttelte sich die
Haare aus dem Gesicht. Daniel konnte sie zum ersten Mal
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