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Die Beschleunigung der Angst

Die Beschleunigung der Angst

Titel: Die Beschleunigung der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Acker
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Mutter. Also nur angeheiratet. Ich betrachte ihn
nicht als Onkel. Eher als ein perverses Stück Scheiße.«
    Daniel legte den Kopf in den
Nacken, wobei er sich die Schädeldecke an der Wand anstieß.
    »Oh Mann, das ist doch
krank!«
    Karla zuckte die Schultern.
    »Wem sagst du das? Und du
weißt noch gar nichts.«
    Daniel stutzte.
    »Was weiß ich nicht?«
    Karla versuchte, eine
bequemere Sitzposition zu finden, verzog jedoch das Gesicht, als die
Kabelbinder ihr Vorhaben entschieden verhinderten.
    »Wie gesagt, war Piet der
Mann meiner Tante. Sie heißt Sarah. Schon als kleines Kind habe ich mich vor
ihm gefürchtet. Ich fand ihn einfach gruslig, obwohl er immer nett zu mir war,
hat mir Bonbons mitgebracht, mir Puppen geschenkt und so was. Meine Eltern
haben es immer als Fremdeln abgetan, wenn ich vor Piet geflüchtet bin, obwohl
ich bei anderen Menschen nicht dazu geneigt habe, übertrieben scheu zu sein.
Auf jeden Fall hat er mich bei jeder Gelegenheit so komisch angesehen. Ich
erinnere mich noch genau an einen Tag, ich war neun oder zehn, da hat Piet auf
mich aufgepasst, weil die ganze Familie auf einer Beerdigung war. Er hatte sich
angeboten, bei mir zu bleiben.
    »Hat er dich ...?«. Daniel
brachte den Satz nicht zu Ende. Ein Klumpen von der Größe eines Tennisballs
hatte sich in seiner Kehle materialisiert und seine Stimme klang zu dünn, fast
als hätte er Helium eingeatmet.
    Karla schüttelte den Kopf
und der Klumpen wurde kleiner, weigerte sich aber zu verschwinden.
    »Nein, hat er nicht. Aber er
hat mir richtig Angst gemacht. Hat komische Sachen gefragt, die ich nicht
beantworten konnte und so was. Ich kannte viele der Worte nicht, aber ich
wusste schon damals, dass sie falsch waren. Dass sie böse waren.«
    »Wie ging es weiter?«
    »Ich habe meine Eltern
angefleht, mich nie mehr mit Piet alleine zu lassen. Das haben sie auch nicht
getan, immerhin bin ich ihre Tochter, und auch, wenn sie Piet sehr mochten,
kamen sie meiner Bitte nach. Aber natürlich konnten sie ihm nicht verbieten,
auf Familienfeiern dabei zu sein. Also habe ich angefangen, Geburtstage, selbst
meine eigenen, und Weihnachten zu hassen. Kannst du dir das vorstellen? Ein
kleines Mädchen, das sich davor fürchtet, Geburtstag und Weihnachten zu feiern,
weil sie dann wieder diesen Drecksack sehen musste.«
    »Hast du deinen Eltern
nichts davon erzählt, was er dich gefragt hat?«
    »Natürlich habe ich das
getan. Aber wenn ich ihnen davon berichtete, klang das alles harmlos. Ich weiß
auch nicht, eben so Sachen wie ob ich schon einen Freund hätte und so Sachen.
Wenn man es wiedergibt, klingt es arglos, aber als ich mit ihm alleine war,
klang das anders, glaube mir.«
    »Ich glaube dir, immerhin
habe ich heute gesehen, zu was dieser Penner imstande ist.«
    Karla versuchte, sich unter
Verrenkungen einen Rotzfaden am Shirt abzuwischen. Schließlich gelang es ihr.
Dann sah sie Daniel wieder mit traurigen Augen an.
    »Was ist danach passiert?«
    »Erstmal gar nichts. Die
Jahre vergingen und ich bekam meine Panik vor den Familientreffen allmählich in
den Griff. Allerdings hatte ich öfters unter Alpträumen zu leiden, bei denen
sich ein Mann über mich beugte und sich an mir verging. Doch der Mann hatte
kein Gesicht. Dort, wo Augen, Mund und Nase sein sollten, war nur ein schwarzes
Loch. Ich vermute, dass diese Träume auf meiner Angst vor Piet beruhen.«
    Sie lachte auf. Es klang
grauenhaft.
    »Oh mein Gott, jetzt erzähle
ich dir hier schon von meinen Albträumen als wärst du mein Psychiater oder so.«
    »Schon in Ordnung. Du musst
es mir nicht erzählen, Karla.«
    »Doch, muss ich. Vielleicht
ist es das letzte Mal, das ich etwas erzählen kann, und vielleicht befreit es
mich auf irgendeine Weise.«
    »Okay, ich höre gerne zu.
Was ist als Nächstes passiert?«
    Karla schüttelte die Haare
zurück. Daniel hatte diese Bewegung schon bei ungezählt vielen Frauen gesehen,
doch nie war sie ihm so schwungvoll und so voller Anmut vorgekommen wie bei der
gefesselten Frau ihm gegenüber.
    »Irgendwann, ich war
fünfzehn, hat meine Tante etwas in der Garage gesucht. Normalerweise war sie
dort nie. Sie ist eine schwache Frau, und Piet hatte ihr verboten, sich dort
aufzuhalten. Ich weiß nicht, ob sie etwas geahnt hat oder wirklich dringend hinein
musste. Jedenfalls war eine Wand der Garage mit einem Segeltuch abgedeckt. Als
meine Tante daran vorbeiging, verfing sie sich mit der Strickjacke in einer
Öse, und das Laken fiel von der Wand.«
    »Was war

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