Die Beschleunigung der Angst
dahinter?«
Karla schüttelte den Kopf,
die Augen auf einen Punkt außerhalb des Zimmers und der Gegenwart gerichtet.
»Ich habe nur Bilder davon
gesehen. Das hat mir auch gereicht. Die ganze Wand war voller Fotos von mir. Es
gab nicht einen Flecken, der nicht mit mir bedeckt gewesen wäre. Es waren
hunderte von Fotografien. Wie ein Schrein für eine Gottheit namens Karla. Und
das Schlimmste daran war, dass die meisten Fotos nicht auf irgendwelchen
Familienfeiern geschossen worden sind. Nein, der größte Teil der Bilder waren
heimlich aufgenommen worden. Auf dem Nachhauseweg von der Schule, beim Spielen
mit Freunden, beim Sport. Piet war wie besessen von mir. Meine Eltern erzählten
mir, dass er manche der Fotografien beschmiert hatte. Hat mir Brüste aufgemalt
oder sie vergrößert. Oder er hat mir einen Schwanz in den Mund gemalt, wenn er
mich beim Sprechen fotografiert hat und so ein Zeug. Manchmal hat er einen in
schwarz gekleideten Mann neben mich gekritzelt, der mich überall berührt.
Kranke Scheiße eben.«
Nun war es an Daniel, den
Kopf zu schütteln. Auch wenn Karla ruhig, fast emotionslos sprach, spürte er
ihre Aufregung. Eine Welle des Mitleids erfasste ihn. Diese wundervolle Frau
vor ihm hätte, wie jedes andere Kind auch, eine unbeschwerte Kindheit voller
Glück verdient gehabt. Doch stattdessen hatte sie in Angst gelebt, weil ein
Familienmitglied ihr das Leben vielleicht nicht zur Hölle gemacht, es aber doch
mit Sorgen beladen hatte. Wäre er nicht gefesselt gewesen, wäre er aufgestanden
und hätte Piet erwürgt.
»So ein kranker Bastard!«,
sagte er. Er spuckte die Worte aus als hätte er in ein fauliges Brötchen
gebissen. Er fragte sich, wie das Erzählte mit dem abgelegenen Haus, der
Matratze und den Scheinwerfern zusammenhing. Er dachte an die Magazine, die
Thomas im Handschuhfach des Geländewagens gefunden hatte. Eine Ahnung breitete
sich in seinem Brustkorb aus. Nein, das war gar nicht gut.
»Meine Tante hat sich
tatsächlich von ihm scheiden lassen. Ich habe dir erzählt, dass sie eine
schwache Person ist, aber das hat sie dann doch hinbekommen. Dann hat sie
begonnen zu trinken. Sie hat ihren Job bei der Krankenkasse verloren und lebt
heute von der Sozialhilfe. Ich glaube, auf irgendeine verdrehte Weise gibt sie
mir die Schuld daran. Dass ich ihre Ehe zerstört habe oder so. Deshalb bin ich
natürlich auch für alles verantwortlich, was danach passiert ist. Ich habe
keinen Kontakt mehr zu ihr. Meine Eltern auch nicht. Egal.« Sie zuckte die
Schultern, so weit es ihre Fesseln zuließen.
»Hast du ihn seitdem nochmal
gesehen?«
»Nein, bis heute nicht mehr.
Meine Eltern erwirkten eine Verfügung, dass sich Piet mir nicht weniger als
fünfhundert Meter nähern durfte. Aber ich habe mich oft beobachtet gefühlt. Du
weißt schon, man steht beim Einkaufen an der Kasse oder sitzt zusammen mit
Freunden im Eiscafé, und plötzlich hat man das Gefühl, man würde belauert. Und
wenn man sich dann umdreht, sieht man niemanden. Das kann aber natürlich auch
damit zusammenhängen, dass ich nie geglaubt habe, dass Piet sich so einfach aus
dem Staub machen würde.«
Sie lachte wieder dieses
bittere Lachen, das Daniels Herz auf die Größe einer Rosine schrumpeln ließ.
»Und ich habe ja auch recht
behalten, oder?«
Daniel überlegte. Was
bedeutete es, dass Karla von ihrem Onkel entführt worden war? Er erinnerte sich
an Piets Worte, als Kurt an der Villa angekommen war und Piet eröffnet hatte,
dass er verfolgt worden war.
Sie ist es. Sie ist die, die
wir so lange gesucht haben!
Das hatte Piet gesagt.
Demnach wusste Kurt nicht, dass es sich bei Karla um die Nichte des Entführers
handelte. Vielmehr hatte Piet seinen Komplizen glauben gemacht, dass er die
Frau, die sie für ihre dunklen Zwecke brauchten, zufällig auf der Straße
entdeckt hatte. Doch von Zufall konnte natürlich keine Rede sein. Piet hatte
Karla eiskalt ausgespäht und dann zugeschlagen. Zwar nicht sonderlich
professionell - Daniel konnte sich nicht vorstellen, dass viele Kidnapper sich
einen runterholten, bevor sie zuschlugen - aber es hatte auf jeden Fall nichts
mit Glück zu tun.
»Meinst du, der Polizist
weiß, dass Piet dein Onkel ist?«
»Nein, das glaube ich nicht.
Und wir dürfen es ihm nicht sagen. Piet hat gesagt, er bringt mich um, wenn ich
das tue. Und ich glaube ihm. Er kann sehr überzeugend sein.«
Daniel schürzte die Lippen.
»Du hast selbst gesagt, dass
sie uns umbringen werden! Wir müssen es dem
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