Die Beschleunigung der Angst
von Karlas Onkel
fuhr herum zu seinem Komplizen.
»Ich bin der
Hauptdarsteller! Niemand sonst!«
Mit dem Kostüm schien sich
tatsächlich die Beziehung zwischen den beiden verändert zu haben. Hatte Piet
noch vor wenigen Minuten vor dem Polizisten gekuscht wie ein Hund, der Angst
hatte, getreten zu werden, schien nun er den Ton anzugeben. Kurt hob die Hände
in die Höhe.
»Natürlich. Du hast recht,
Piet. Natürlich bist du der Hauptdarsteller, der Star des Films. Die anderen
beiden sind die Nebendarsteller.«
Karla begann zu weinen.
Daniel hörte sie leise hinter ihrem Haarvorhang wimmern.
»Was soll der ganze
Scheiß?«, fragte er.
»Scheiß?« Kurt verzog das
Gesicht. »Warum Scheiß? Das ist so ein garstiges, völlig unzutreffendes Wort.
Wir drehen hier einen Film. Natürlich wird es kein Blockbuster, so realistisch
sind wir. Aber er wird sein Publikum finden, das garantiere ich dir. Das
Internet bietet da unzählige Möglichkeiten, dass man auch mal etwas anderes zu
sehen bekommt als diesen unerträglichen Einheitsbrei aus der Hollywoodretorte.
Und wir beide«, er wedelte mit einem Zeigefinger zwischen Piet und sich hin und
her, »haben schon so viele dieser kleinen Filme im Netz gesehen. Jetzt sind wir
dran, selbst einen zu drehen. Den besten von allen. Und ihr beide dürft nicht
nur dabei sein, ihr seid sogar ein ganz elementarer Teil des Ganzen! Wir haben
Ewigkeiten nach der richtigen Diva für unser Projekt gesucht. Und Piet der
Teufelskerl hat sie endlich gefunden.« Er trat vor und klopfte seinem Kumpanen
auf die schwarzgekleidete Schulter.
Daniel war sich mittlerweile
sicher, dass beide komplett irre waren. Wahnsinnig und unzurechnungsfähig, aber
trotzdem, oder gerade deswegen zu allem fähig.
Während der Polizist redete,
hatte Piet begonnen, etwa anderthalb Meter über der Matratze einen Nagel in die
Wand zu schlagen. Nein, keinen Nagel, wie Daniel erkannte, es handelte sich
vielmehr um einen silbrig glänzenden Haken.
»Lasst uns gehen«, sagte
Daniel, obwohl er wusste, dass es keinen Sinn haben würde.
Und so war es auch. Der
Polizist warf den Kopf in den Nacken und lachte, als habe er selten Witzigeres
gehört.
»Nein, nein. Wir haben so
viel vor mit euch beiden. Wir wollten eigentlich nur sie, doch das Schicksal
hat uns auch dich geschickt. Und der Film wird so viel besser, wenn wir auch
einen männlichen Gegenpart haben. Das wird der Hammer. Wir werden Clickrates haben,
bei denen sich die anderen Filmer verwundert die Augen reiben werden.«
Er sah wieder durch das
Objektiv.
»Es ist alles angerichtet,
Piet. Oder Leatherknife, wie ich dich ab jetzt nennen werde.«
Er wandte sich an Daniel und
verzog das Gesicht als wollte er sich entschuldigen.
»Ich weiß, Leatherknife ist
nicht wirklich kreativ. Aber seine Markenzeichen sind nun mal die
Lederklamotten und das Messer. Und außerdem ist es unheimlich schwierig, einen
Namen zu finden, der noch nicht da war. Und wir wollen hier eben was ganz
Besonderes machen und keinen billigen Abklatsch. Davon gibt es weiß Gott
genug.«
Daniel drehte den Kopf zur
Wand. Als würde ihn der Künstlername dieses Irren auch nur einen Scheißdreck
interessieren. Er spürte, wie seine Handflächen hinter seinem Rücken feucht
wurden. Er hatte mehr als nur eine Ahnung, was für eine Art Film das hier
werden sollte. Und Karla ebenso, wie er vermutete, denn aus ihrem Wimmern war
ein Schluchzen geworden, das nun in ein Heulen überging.
»Lasst uns ... bitte ...
gehen.« Ihre Worte wurden von Weinkrämpfen unterbrochen.
Der Polizist und
Freizeitfilmer kniete sich vor seine Nebendarstellerin.
»Das können wir nicht«,
sagte er. »Sei doch froh darüber, dass deine Schönheit sich für immer in den
Weiten des Internets manifestieren wird. Künftige Generationen werden dich
ansehen und erkennen, was für ein Göttin du warst. Das Internet vergisst nie,
weißt du? Niemals. Du wirst für immer auf irgendwelchen Servern und Festplatten
zu Hause sein. Genau wie dein Freund hier.«
Kurt wandte sich an Daniel.
»Wir haben nur einen Knebel
dabei, weil wir nicht mit dir gerechnet haben. Den brauchen wir jedoch für die
Hübsche hier, wegen des dramatischen Effekts und weil es eben so im Drehbuch
steht. Ich verzichte darauf, dich mit einem Seil zu knebeln, wenn du mir
versprichst, still zu sein, während du auf deinen Auftritt wartest. Solltest du
auch nur ein Wort sagen, werde ich dir Piets Unterhose ins Maul stopfen. Und
wenn du nicht am Geschmack umgehst, werde
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