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Die Beschützerin

Die Beschützerin

Titel: Die Beschützerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Kliem
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seine Hüfte. Manchmal lagen wir so, bereit zum Einschlafen, und dann streichelte ich ihn, und er nahm meine Hand und küsste sie und drehte sich zu mir um. Aber heute bewegten wir uns beide nicht.
    Ich lauschte Gregors Atemzügen. Das Rollo war nicht ganz geschlossen und zerschnitt das Licht der Straßenlaterne in Streifen. Die Schatten der Möbel besaßen scharfe, schwarze Kanten. Ich konnte lange nicht einschlafen, und ich hatte das Gefühl, dass auch er wach lag.

2
    Kopfschmerzen pochten hinter meinen Schläfen, als ich am nächsten Morgen Gregors Wohnung verließ. Er schlief. Ich fuhr zu mir und zog mich eilig um. Ich wollte früh im Büro sein. Für die Hochsteckfrisur blieb keine Zeit mehr, ich kämmte mich nur schnell und band mir ein Tuch ins Haar.
    Ich schloss meine Wohnungstür ab. Durch das Fenster im Hausflur fiel grelles Sonnenlicht und beleuchtete Flecken und Kratzer an den Wänden. Dabei fiel mir der Schlüsselbund aus der Hand und schepperte laut auf den Boden. Ich hob ihn auf, lief die ersten Treppenstufen hinunter und wäre beinahe über eine kleine Gestalt gestolpert, die nah am Geländer hockte. Es war Benni. Zwischen seinen Beinen klemmte ein Geigenkasten.
    Â»Hallo Benni. Was machst du denn hier?«
    Er rieb sich die Augen mit seiner kleinen Faust. »Ich hab meinen Rucksack vergessen. Nun hab ich keine Buskarte und kein Sportzeug und kein Schulbrot. Ich hab nur die Geige.«
    Â»Kannst du nicht wieder rein?«
    Â»Der Schlüssel ist auch im Rucksack.«
    Â»Und dein Papa?«
    Â»Noch auf der Arbeit. Er arbeitet als Nachtpförtner in einem Hotel, da ist er bis um neun.«
    Â»Und wenn du ihn anrufst?«
    Er biss sich auf die Lippe.
    Â»Verstehe«, sagte ich. »Das Handy ist auch im Rucksack?«
    Er nickte.
    Â»Na, vielleicht kann ich dir ja helfen«, meinte ich. »Ich fahr dich mit dem Auto zur Schule. Wir kaufen was beim Bäcker. Und Turnsachen leihst du dir heute mal von jemandem aus.«
    Benni schniefte. »Mir leiht keiner was. Und ich komm zu spät. Dann werde ich ins Klassenbuch eingetragen.«
    Â»Hey, Kopf hoch. Willst du trotzdem mit mir fahren?«
    Benni nickte. Zum Auto begleitete er mich mit gesenktem Blick, doch beim Bäcker besserte sich seine Laune, als er sich zwei zuckertriefende Donuts aussuchen durfte. »Die erlaubt Papa mir nie! Ich darf nur Vollkornbrot«, sagte er. »Danke!«
    Â»Verrat es ihm lieber nicht, okay?«, meinte ich leicht verunsichert. Von Kindererziehung hatte ich keine Ahnung. Aber für meinen Geschmack war Benni viel zu jung, um nachts allein zu Hause zu bleiben und sich selbstständig für die Schule fertigzumachen.
    Im Auto plapperte er auf mich ein: »Heute Nachmittag haben wir die Premiere von unserem Theaterstück. Es ist ein Musical, und ich spiele was auf der Geige vor. Es ist um drei Uhr. Kannst du kommen und zusehen?«
    Ich lächelte. »Leider nicht. Ich muss arbeiten.«
    Â»Papa kommt auch nicht. Er hat Probe mit der Band.« Benni senkte traurig den Kopf. »Alle anderen Eltern kommen.«
    Ich schwieg und Erinnerungen krampften sich wie eine kalte Hand um mein Herz. Wie gut ich ihn verstehen konnte. Wir erreichten das Gebäude um zehn nach acht. Ich hielt am Straßenrand. »Steig hier aus, auf der Seite zum Bürgersteig. Tschüss, Benni, bis bald.«
    Er hob die Hand, um zu winken, machte aber keine Anstalten, loszugehen, sondern blieb mit seinem Geigenkasten am Auto stehen, eine kleine, blasse, traurige Gestalt. Er blickte mich an. Auf einmal begriff ich.
    Â»Hast du Angst, reinzugehen?«
    Er bewegte leicht den Kopf, ein angedeutetes Nicken. Er war ein fremdes Kind, zufällig in meiner Nachbarwohnung eingezogen. Was hatte ich mit seinen Problemen zu tun? Aber ich konnte nicht einfach wegfahren. Ich stieg aus.
    Â»Nützt es was, wenn ich mit reinkomme?«
    Er nickte heftig. »Wenn du dabei bist, kann Frau Wegberg nicht schimpfen.«
    Ich folgte ihm ins Schulgebäude, dann durchs Treppenhaus in einen Flur. Hinter den Türen rechts und links war Gemurmel zu hören, manchmal etwas lauter eine Lehrerstimme. Benni klopfte an die Tür eines Klassenzimmers. Auf ein »Herein« traten wir ein. Eine schlanke Frau Anfang dreißig stand am Lehrerpult und blickte erstaunt auf. Benni stupste mich in die Seite.
    Â»Ich bringe Benni …, also … Benjamin. Bitte entschuldigen Sie seine Verspätung«,

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