Die Beschützerin
Lächeln. Sie hielt immer noch das Ticket in der Hand. »Dieses Jazzkonzert ⦠Sie gehen bestimmt mit Ihrem Freund hin? Wie hieà er noch � Ach ja, Gregor Behrendt.«
Warum wollte sie das nun wissen? Sie hatte sich tatsächlich Gregors Namen gemerkt. Ich lächelte höflich. »Nein, er hat keine Zeit.«
»Also, wenn Sie die zweite Karte übrig haben ⦠Ich würde Sie Ihnen gern abkaufen.« Sie strahlte mich an, wurde aber in der nächsten Sekunde ernst. »Aber vermutlich wollen Sie jemand anderen von Ihren Freunden einladen. Mir war nur gerade die Idee gekommen ⦠es tut mir leid, manchmal bin ich zu spontan!« Sie lachte verlegen und legte das Ticket auf den Tisch.
Spontan aufdringlich, ging es mir durch den Kopf. Doch da war wieder etwas in ihrem Blick, das mich warnte.
»Nein, gar nicht, die Idee ist doch nett. Ich freue mich, wenn Sie mitkommen.«
»Danke. Ich freue mich auch.«
Ich hielt ihr die Karte hin, und sie steckte sie ein.
Kaum war sie zur Tür hinaus, begann ich mich zu ärgern. Warum hatte ich sie eingeladen? Hatte ich ernsthaft vor, jeden Abend mit Vanessa Ott zu verbringen? Ich brachte mich selbst in eine unmögliche Situation. Nein, verbesserte ich mich: Sie brachte uns beide in diese Situation. Wir waren schlieÃlich keine Freundinnen, nicht mal Kolleginnen. Sie schien mich zu mögen, aber ich würde erst wieder ruhig schlafen können, wenn Bloomsdale Consulting den Sender verlassen hatte und es meine Abteilung und meine Projekte dann noch gab. Warum suchte sie den Kontakt zu mir? Die Erklärung, mich aus beruflichen Gründen besser kennenlernen zu wollen, um meine Jobtauglichkeit zu überprüfen, reichte nicht als Grund. Dazu musste sie nicht ihre Freizeit mit mir verbringen. Sie war freundlich, sogar herzlich zu mir gewesen, aber ich wusste, ich hätte nicht ablehnen dürfen. Weder gestern das gemeinsame Essen noch diesen Konzertbesuch. So nett sie auch war, sie manipulierte mich. Aber warum lieà ich das zu? Ich hätte sagen können: »Wie schade, das tut mir leid, die Karte ist schon vergeben.« Punkt und Schluss. Doch ich hatte es nicht gewagt.
Mama liegt auf dem Sofa. Sie starrt gegen die Wand, ihre Augen sind dunkel, trüb wie schlammiges Wasser. Ich weià nicht, wie sie sich fühlt. Was sie denkt. Den Rest des Tages wird sie so daliegen. Der Einkaufszettel klebt am Kühlschrank, der giftgrüne Magnetfrosch grinst mir entgegen. Papa hat die Liste geschrieben, bevor er zur Arbeit gefahren ist. Mama geht nur noch selbst, wenn sie was zu trinken braucht. Flaschen, die ich an der Kasse nicht bekomme. Ich will nicht gehen. Meine Beine sind wie Blei. Am liebsten möchte ich wieder ins Bett, mir die Decke über den Kopf ziehen. Und die Frau im Laden fragt immer nach Mama, wann sie denn wieder gesund sei, das ist mir peinlich, sie fragt mit so einem hämischen Unterton, als würde sie gar nicht glauben, dass Mama wirklich krank ist.
Ob Papa zum Abendessen nach Hause kommt? Ich überlege, was ich kochen könnte. Groà ist die Auswahl nicht, ich kann Rührei oder Spaghetti mit Fertigsauce. Er war wütend, als er gegangen ist. Er hat die Haustür zugeknallt. Ich mache Pellkartoffeln und kaufe Frühlingsquark, das mag er gern. Hoffentlich ist er nicht auch wütend auf mich.
Mein Handy brummte und holte mich aus den Erinnerungen. Eine SMS von Ulla: »Können wir? Habe Hunger.«
»Bin schon unterwegs«, schrieb ich zurück.
Das Nice Place war wie jeden Abend gut besucht, aber da ich Stammgast war, bekam ich sofort einen Tisch zugewiesen. Ulla traf nur wenige Minuten nach mir ein.
»Das war ein Tag!«, sagte sie und lieà ihre riesige Handtasche achtlos neben dem Stuhl auf den Boden fallen. »Ich hab angefangen, mich in den Hells-Angels-Prozess einzulesen. Zehn prall gefüllte Aktenordner.«
Ich sah sie gespannt an. »Hast du dich mit dem Abendkurier schon geeinigt?«
»Sagen wir es so: Sie sind mir entgegengekommen.«
Ich wunderte mich, dass die Verhandlungen offenbar so leicht über die Bühne gegangen waren.
»Fühlst du dich gut mit der Entscheidung?«
Sie hob die Schultern. »Ich bin zwar nicht jung, aber ich brauche das Geld. Der Prozess könnte sich über Jahre hinziehen. Vielleicht bringt mir das wenigstens die Miete ein.«
Während sie sprach, sah sie immer wieder an mir vorbei, als wäre etwas
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