Die Beschützerin
was erzählen. Mich hat gerade ein alter Kollege aus Hamburg angerufen. Karsten.«
»Der Karsten, mit dem du mal was hattest?«
Ulla stöhnte genervt. »Erinnere mich nicht daran.«
Ihre Affäre mit Karsten hatte nur zwei Wochen gedauert, und ich hatte ihn nie kennengelernt.
»Es geht nicht um ihn. Karsten ist an einer interessanten Sache dran. Vor etwa einem Jahr gab es einen merkwürdigen Todesfall bei der IOMAG in Hamburg, bei dieser Softwarefirma. Eine Frau ist im Innenhof des Gebäudes aus dem fünften Stock gestürzt. Sie hieà Katharina Schilling. Vielleicht erinnerst du dich, es ging durch die Presse.«
Ich verneinte.
»Bei der IOMAG war zu diesem Zeitpunkt Bloomsdale Consulting im Einsatz. Katharina Schilling hatte kurz vor ihrem Tod erfahren, dass sie ihren Job los ist. Und nun rate, wer die zuständige Mitarbeiterin von Bloomsdale war?« Ulla holte Luft, und ich wusste, was sie jetzt sagen würde.
»Vanessa Ott.«
Das Handy am Ohr, lehnte ich mich an die kalte Häuserwand. »Das heiÃt, diese Frau hat sich umgebracht?«
»Karsten sagt, es wurde ein Abschiedsbrief in ihrer Wohnung gefunden. Aber irgendwas muss bei den Ermittlungen der Kripo komisch gelaufen sein.«
»Wie meinst du das? Komisch?« Ich zog die Schultern hoch, auf einmal erschien mir die Nachtluft zu kühl.
Ulla seufzte. »GroÃes Mysterium. Karsten verrät mir nichts. Angeblich darf er nichts sagen. Wegen einer einstweiligen Verfügung.«
»Das hört sich ja geheimnisvoll an. Aber ich wüsste nicht â¦Â« ⦠Was das mit mir zu tun haben soll, hatte ich sagen wollen, aber Ulla hörte sich ernsthaft besorgt an.
»Ich versuch morgen mal, noch mehr rauszukriegen. Vielleicht bauscht er auch nur irgendwas auf, um sich wichtigzumachen. Aber versprich mir bitte, dass du um diese Vanessa Ott einen Bogen schlägst, okay?«
Aus dem A-Trane schallte Applaus auf die StraÃe.
»Janne, bist du noch dran?«
»Ja ⦠klar.«
»Wie ist denn eigentlich das Konzert?«
Ich hatte etwas Mühe, mich wieder auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. »Es ist super. Schade, dass du nicht hier bist!« Das meinte ich ehrlich. Was hätte ich mit Ulla für einen Spaà gehabt, anstatt mir Sorgen zu machen, ob es Vanessa Ott gefiel oder ob ich sie verärgert haben könnte.
»Bist du die zweite Karte noch losgeworden?«
»Ja.« Ich zögerte. »Michaela hatte Zeit.«
»Deine Assistentin?«
»Genau. Sie hatte zufällig mitbekommen, dass du abgesagt hast.«
»Ich dachte, die steht auf Disco. Na los, dann geh mal wieder rein, damit sie nicht so lang allein ist.«
»Okay. Ich ruf dich an.« Wir legten auf.
Ich hatte einen riesigen Kloà im Hals. Noch nie hatte ich Ulla angelogen, und das schlechte Gewissen nagte sofort an mir. Sie machte sich Gedanken um mich, und ich dankte es ihr so.
Ich blieb noch einen Augenblick an der Eingangstür stehen, musste an die Frau in Hamburg denken, die sich umgebracht hatte. Lag es wirklich daran, dass sie ihren Job verloren hatte? Und was hatte diese Geschichte mit Vanessa Ott zu tun gehabt? Es war ihre Aufgabe, Unternehmen rentabler zu machen, und dazu gehörte es meist auch, Mitarbeiter einzusparen. Es kam sicher oft vor, dass jemand nicht zurechtkam mit der Arbeitslosigkeit. Aber sich deshalb umzubringen? Konnte man der Unternehmensberatung eine Mitschuld geben?
Mir fiel es so schwer, Vanessa Ott einzuschätzen. Ob ihr solche Schicksale gleichgültig waren? Sie wirkte nicht gleichgültig und kühl. Aber sie schien viele Gesichter zu haben, sendete entgegengesetzte Botschaften aus. Sie war die toughe Karrierefrau, die sich bei Bloomsdale Consulting durchbiss und deren Leben aus Arbeit und Selbstkontrolle zu bestehen schien. Gleichzeitig kam sie mir so zerbrechlich vor. Es lag nicht nur an ihrem ÃuÃeren. Etwas stimmte nicht mit ihr. Sie wirkte so rastlos.
Wieder drangen Pfiffe und Applaus auf die StraÃe. Ich ging hinein. Ich versuchte, mir meinen alten Stehplatz neben Vanessa Ott zurückzuerobern, was sich als schwierig erwies. Die Zuschauer tobten, die Stimmung war auf dem Höhepunkt. Es war warm und stickig. Zwischen all den erhitzten Gesichtern, den im Takt wippenden Körpern, stand Vanessa Ott. Mit dem schwarzen Haar und der blassen Haut erinnerte sie mich an ein Bild von Schneewittchen aus dem Märchenbuch, das ich als Kind so
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