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Die beste Frau der Space Force

Die beste Frau der Space Force

Titel: Die beste Frau der Space Force Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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sahen. Sie hatte schon an jenem aller ersten Morgen begriffen, dass die Welt sich nun endgültig verändert hatte und dass New York nie wieder das werden würde, was es einmal gewesen war. Die Straßen waren mit liegengebliebenen Fahrzeugen verstopft gewesen. An zahllosen Stellen waren Brände ausgebrochen, und überall wurde gekämpft. Sie waren am Ende ihrer Kräfte gewesen, als sie gegen Mittag das Apartmenthaus im Herzen Manhattans erreicht hatten. Auf dem Weg dorthin hatten sie alles gesehen, was zum Szenario einer sterbenden Millionenstadt gehörte: Panik, Tod und Angst, Plünderer und Menschen, die gegeneinander kämpften, nur keine Außerirdischen. Es waren die Bewohner New Yorks selbst, die ihre eigene Stadt zerstörten. Sie verscheuchte den Gedanken, stand auf und goss sich mit zitternden Händen einen Martini ein. Ihre Hände zitterten jetzt oft, und sie ertappte sich immer häufiger dabei, mehr Alkohol zu trinken, als ihr gut tat. Sie musste aufpassen. Es war drei Tage her, dass ein halbes Kind in der Uniform der Nationalgarde vor der Tür ihres Apartments aufgetaucht war und sie und Mike hierher gebracht hatte, an einen der vier oder fünf Orte in New York, in denen das Leben wenigstens noch einen Anschein von Normalität hatte: die Keller der BANK OF AMERICA, ein ganzes Labyrinth von Stahlkammern und Gängen, winzigen Büros und nur unwesentlich größeren Schlaf- und Aufenthaltsräumen. Die kaum zwei mal drei Schritte messende Kammer, die man ihr und Mike allein zugewiesen hatte, stellte einen unbeschreiblichen Luxus dar.
    Sie blickte auf das Zifferblatt der mechanischen Uhr, die an der Wand gegenüber der Tür hing, stellte fest, dass sie noch eine gute halbe Stunde Zeit hatte, bis zu Beckers routinemäßigem Anruf, und machte sich trotzdem auf den Weg. Draußen würde es laut und hektisch zugehen, aber hier drinnen hatte sie das Gefühl, zu ersticken; trotz der Klimaanlage, deren Summen so tat, als hätte es den Weltuntergang dreißig Meter über ihren Köpfen gar nicht gegeben. Sie zog ihre Uniformjacke an, verließ die Kammer und machte sich auf den Weg zu dem zur Kommandozentrale umgewandelten Datensicherungsraum der Bank. Die Gänge waren nicht ganz so überfüllt, wie sie angenommen hatte. In den letzten drei Tagen hatte sich die Lage hier unten ein wenig beruhigt, was allerdings nicht etwa hieß, dass es wirklich ruhig gewesen wäre. Immerhin war aus dem völligen Tohuwabohu der ersten vierundzwanzig Stunden eine Art geordnetes Chaos geworden, in das Colonel Stanley tatsächlich so etwas wie ein System gebracht hatte; ein System zwar, das nur er allein und sonst niemand verstand, das aber funktionierte. Soweit in dieser Stadt überhaupt noch etwas funktionierte, dachte sie bitter. Wieder drohten sie die Erinnerungen an den entsetzlichen Marsch durch New York zu übermannen, und wieder gelang es ihr nur mit Mühe, sie zu verscheuchen. Es waren nicht nur die Angriffe der Fremden - jene erste Gruppe, der sie begegnet waren, war nicht die einzige geblieben -, sondern der totale Zusammenbruch einer riesigen Stadt. New York hatte sich in ein Gebirge aus Stein verwandelt. Es gab keine Wasserversorgung mehr, keinen Strom. Kein Telefon und keine Ärzte, keine Taxis und keine Feuerwehr, kein...
    New York starb einen gnadenlosen Tod. Gestern - war es gestern, als Mike und sie draußen gewesen waren? Sie wusste es kaum noch. Man verlor rasend schnell jedes Zeitgefühl, in dieser unterirdischen Welt aus Neonlicht und weiß gestrichenem Beton. Gestern oder wann auch immer hatten sie das Bankgebäude verlassen, um sich draußen umzusehen, und hatten ein Geräusch gehört, das fast wie eine wunderbare Musik geklungen hatte: das Brummen eines Automotors. Augenblicke später war ein uralter Militärlaster vor dem Bankgebäude vorgefahren. Jemand hatte die zerstörte Zündspule herausgenommen und durch etwas Selbstgebasteltes ersetzt, dessen Anblick jeden Ingenieur in den Wahnsinn getrieben hätte, aber jedenfalls funktionierte. Stanley und die anderen waren fast in einen Freudentaumel ausgebrochen, aber Charity hatte der Anblick eher deprimiert. Das alles war von ihrer High-Tech-Welt übriggeblieben. Sie erreichte die Kommandozentrale, zeigte dem Posten vor den Eingang ihren Dienstausweis und trat geduckt an der tonnenschweren Panzertür vorbei. Noch vor einer Woche hätte ihr Dienstausweis ihr diesen Weg nicht geöffnet. Nur ein paar Schritte von ihr entfernt, gleich hinter der angrenzenden Wand,

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