Die beste Lage: Roman (German Edition)
Gastfreundschaft gebeten, wo er nicht nur für ein paar Monate Kost und Logis schnorrte, sondern vor allem von seinem hervorragenden Aussichtsposten an einer Strandbar aus einen der ersten Sommer des neuen italienischen Wirtschaftswunders miterleben und dabei methodisch – er half an der Kasse, natürlich nicht, ohne einen angemessenen Teil der Einnahmen für sich abzuzweigen – das beobachten konnte, was sich bald als sommerlicher Konsumtrend der ganzen Nation abzeichnen sollte.
Zum ersten Mal in der Geschichte trat nämlich dank der Verbreitung des Kühlschranks eines der stärksten Symbole der schönen Jahreszeit in Erscheinung: Gibt es etwas Unwiderstehlicheres als ein Glas, das beim Einschenken eines eisgekühlten Getränks beschlägt? Ist das nicht das Sinnbild für den Sommer schlechthin, fast so, als wäre das genüssliche Löschen des Dursts die Voraussetzung für die Erfüllung aller anderen Wünsche? Wie auch immer man es ausdrücken will – und Dell’Arco hätte es bestimmt nicht so ausgedrückt –, es war offenkundig, dass die Möglichkeit der Lebensmittelkühlung den Getränkekonsum exorbitant gesteigert hatte, und das insbesondere im Bereich der kohlensäurehaltigen Getränke, zu denen das einzige einheimische Getränk gehörte, welches imstande war, Coca-Cola und den anderen den Markt überschwemmenden ausländischen Produkten Paroli zu bieten, und das war die Limonadenbrause.
Wahrscheinlich wäre diese Beobachtung folgenlos geblieben, hätte nicht Michelantonio zufällig von einem Lieferanten erfahren, dass just in der Basilikata, genauer gesagt, in Potenza, einer der ältesten Hersteller dieses Getränks – von bescheidener Qualität zwar, aber mit wenig Konkurrenz auf dem florierenden Sektor der Durstlöschung – nach Erreichen der Altersgrenze und in Ermangelung eines Erben seinen Betrieb zu liquidieren gedachte.
In der Gasbranche zu bleiben, schien Michelantonios Schicksal zu sein. So beschloss er, die Firma trotz ihres Standorts zu kaufen, denn er hielt die Entfernung, die ihn von seinen ehemaligen Mitbürgern trennen würde, von denen die meisten ohnedies ausgewandert waren, für durchaus akzeptabel.
Und wenn es ihm schon in der üblen Lage, in die ihn die Methanmiasmen gebracht hatten, gelungen war, mit beachtlichem Gewinn davonzukommen, so sorgten jetzt die Kohlensäurebläschen mit dem leichten, süßen Zitronengeschmack der Briosa-Brause – so der Name – dafür, dass er im Laufe weniger Jahre wieder in den strahlenden Himmel des Reichtums emporstieg.
Das Erwachen des jungen Herrn
Michelantonios einziger Kummer blieb der Verdacht, einen Taugenichts zum Sohn zu haben. Tatsache ist, dass der junge Graziantonio das Schicksal vieler Söhne erfolgreicher Männer teilte und sich seinem Vater gegenüber, der inzwischen einer der reichsten Unternehmer der Region geworden war, wie eine absolute Null vorkam. Darin wurde er, das muss man leider sagen, von seinem Vater bestärkt, der ihn in einem fort erniedrigte. Sicher, wenn Graziantonio heute, weich gebettet an Deck seiner Milliardärsyacht, darüber nachdachte und sich den Wutausbruch dieses Sprudel- oder Sudel produzenten – wie er ihn insgeheim nannte – vergegenwärtigte, nachdem er seinen Sohn auf Platz zwölf der Liste der hundert reichsten Italiener entdeckt hatte, dann musste er lachen. Seine Jugendjahre waren aber keineswegs zum Lachen gewesen. Deshalb hatte sich Graziantonio, statt seinem Vater nachzueifern, zunächst an die liederlichsten und blasiertesten seiner Klassenkameraden gehängt und sich nach dem Gymnasium, immer noch an ihren Fersen klebend, sogar für Philosophie eingeschrieben. ›Dann ist er wirklich schlimmer als ein Idiot‹, sagte sich Michelantonio an jenem Morgen, an dem seine Frau den Mut fand, es ihm zu eröffnen.
Der Morgen graute, und wie jeder Unternehmer, der seine Achtung verdiente, war Michelantonio schon dabei, sich anzukleiden. Sobald er jedoch die leisen Worte seiner Frau vernommen hatte, stürzte er, so wie er war, die Hose noch nicht ganz hochgezogen, brüllend ins Zimmer seines Sohnes, der sich mitten in einem schönen Traum befand.
Da waren er und, spärlichst bekleidet, auch Monica Basile, eines der begehrtesten Mädchen des Gymnasiums, die ihn im wirklichen Leben immer nur verachtet hatte, sich ihm aber jetzt anbot. Nur, dass leider keine Zeit zu verlieren war. Irgendjemand kam auf sie zugerannt, und Monica drängte: ›Mach schon, Graziantonio, gib’s mir … los, da kommt
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