Die beste Lage: Roman (German Edition)
stürzen, denn jedes Familienoberhaupt musste sich verpflichten, binnen zwei, höchstens drei Tagen einen Betrag lockerzumachen, welcher der Gesamtheit dessen entsprach, wofür er selbst oder ein Verwandter sich ein ganzes Leben lang krummgelegt hatte, in fernen Ländern oder sogar in Amerika – ein Begriff, unter den nicht nur die Vereinigten Staaten subsumiert wurden, sondern auch Argentinien, Venezuela und Uruguay. Für diese armen Teufel war das alles eins, weil sie auch an ihrer Bildung gespart hatten und niemals eine Zeitung, geschweige denn ein Buch lasen, dafür aber, sofern sie nicht brutale Gangster geworden waren, von morgens bis abends schufteten, mit einer einzigen Mahlzeit am Tag, eingenommen in Gesellschaft der anderen Unglückswürmer, die sich in den finsteren, stinkenden Löchern zusammendrängten – Behausung und Seife waren die beiden anderen wichtigen Dinge, mit denen sie knauserten –, oder auch allein, auf der Kante eines jener Klappbetten, auf denen sie schliefen oder einmal im Monat eine amerikanische Nutte fickten, in Gedanken jedoch immer bei ihren lieben Frauchen, die es ihnen nach ihrer Rückkehr gratis besorgen würden und denen sie außerdem den Großteil der Arbeit zuschieben könnten, wie die anderen Schinder, die im Dorf geblieben waren und denen es, wenn das überhaupt möglich war, noch dreckiger ging als ihnen, und die keine Lira beiseitelegen, dafür aber wenigstens in den Wäldern auf die Jagd gehen und sich am Abend mit ihren Freunden in der Weinschenke besaufen konnten.
Sie alle durchlebten diese Stunden mit dem klopfenden Herzen von Menschen, für die ein neues Leben anbricht. Für dieses Leben würden sie gemeinsam die Opfer bringen, die gebracht werden mussten. »Sich diese Gelegenheit entgehen zu lassen, wäre, als hätte man im Lotto gewonnen und würde sich sein Preisgeld nicht abholen, weil man die Fahrkarte für den Zug nach Rom nicht bezahlen will«, wiederholte Carmine Addario zum x-ten Mal in derselben Pose wie der zu den Massen sprechende Lenin auf dem Foto in seinem Zimmer, auch wenn er nicht auf eine Tribüne, sondern, bescheidener, auf einen Stuhl gestiegen war, und während sie ihm nun zum x-ten Mal applaudierten, füllten sich die Augen dieser Landarbeiter mit Tränen der Rührung. Sie bräuchten nicht auszuwandern. Schon bald würden sie hier, hier in ihrem Dorf, alles haben, was sie benötigten. Ja, viel mehr sogar, als sie benötigten.
So wurde das Geschäft, wie man so schön sagt, auf der Zielgeraden abgeschlossen. Kaum zwei Tage dauerte es, bis sie taten, wozu er sie in zwei langen Jahren nicht hatte überreden können: Sie bildeten die berühmte Kooperative – auf Addarios Vorschlag »Karambolage« genannt –, um dann unter diesem Firmennamen im Beisein eines Notars den Kaufvertrag über Dell’Arcos Besitzungen unterzeichnen zu können.
Die Träume sind Wünsche
Der Abschluss des Geschäfts wurde mit einem rauschenden, unvergesslichen Fest gefeiert. Die Bewohner von Ferrandina schienen jede Bodenhaftung verloren zu haben. Hektoliter von Wein und Bier, Anice Moccia, Amaro Lucano und Strega wurden im Danubio blu und im Regina ausgeschenkt, hoch am Himmel brach ein Feuerwerk los, und die Piazza verwandelte sich in eine einzige fröhliche Tanzfläche, auf die sich die aus dem ganzen Umkreis herbeiströmende Menge ergoss. Und keiner achtete auf die beiden Autos, die der Kolonne, die sich zum Dorf hinaufschob, entgegenkamen. Wären die Leute aufmerksamer gewesen, hätten sie gesehen, dass im ersten Wagen, einem schwarzen Fiat 600, neben Donna Cesidia, der Dörrfeige, und dem kleinen Graziantonio ein wiederauferstandener Michelantonio saß und sogar das Steuer übernommen hatte, und im anderen Wagen, einem alten Topolino, Carmine Addario, der allen als Judas Addarioth in Erinnerung bleiben sollte.
Fast graute schon der Morgen, als das Fest zu Ende ging und sich der Himmel über Ferrandina, der anfangs blitzblank gewesen war, mit Wolken überzog, die sich bei genauerem Hinsehen von allen anderen Wolken unterschieden – denn Träume sind tatsächlich durchsichtiger, vor allem aber farbiger als Wolken. Wie Seifenblasen drangen sie aus Schornsteinen und Fenstern, lösten sich dann mit einem Bliff! ab und erhoben sich schwerelos in die Lüfte.
Den ersten, den man schillernd durch die Luft schweben sah, war der Traum des Ex-Kolonisten Rosario Pellizzi, genannt Astragone. Er war schon immer ein Liebhaber exotischer Schönheiten gewesen und hatte sich
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