Die Beste Zum Schluss
jetzt nicht da drin ist …
Ich steige aus und zwinge mich, halbwegs normal ins Hotel zu gehen. Das sieht von innen nicht aus wie ein Hotel, sondern wie ein Wohnzimmer, und das Pult ist leer. Eigentlich ist es kein Pult, sondern ein Tisch, auf dem Dinge liegen, unter anderem ein Anmeldebuch. Ich will es gerade aufschlagen, als eine ältere Frau den Raum betritt. Sie hat ein braun gebranntes, faltiges Gesicht, trägt eine Jacke über einem bunten Baumwollkleid, Gummistiefel und dazu ein auffälliges Kruzifix um den Hals. Ich muss an den Wirt im Em Veedel denken. An dem Abend lernte ich Eva kennen. Jetzt bin ich auf einem anderen Kontinent, um sie wiederzusehen. Das Leben ist irre.
»Welcome Sir. May I help you?«
Ich erkläre ihr, dass ich nach einer deutschen Touristin suche, die sehr bleich ist, fast weiß, wie ein Vampir. Sie nickt freundlich, als würde ihr das jeden Tag passieren. Mir fällt endlich ein, dass ich ja mal Evas Namen nennen könnte. Ich tue es. Das hilft. Sie verrät mir, dass Eva wahrscheinlich am Long Beach ist, und verrät mir, wie ich dahin komme. Gott, ich bin gerade direkt an ihr vorbei gefahren. Ich drehe mich um und eile raus. Sie ruft mir einen »Nice day!« nach.
Long Beach. Der Name ist Programm. Außer Cofete auf Furteventura habe ich so etwas noch nicht gesehen. Ich parke neben ein paar Autos, steige aus, kneife die Augen gegen die Helligkeit zusammen und schaue mich um. Strand, Meer, Horizont, blau in blau – und bis auf ein paar Spaziergänger menschenleer. Wobei, draußen im Wasser treiben ein paar Surfer. Mein Herz beginnt, wie verrückt zu schlagen. Ich laufe los.
Als ich den Schutz einer Waldkante verlasse, bläst der Wind mich fast um. Ich erreiche die Stelle, an dem die Surfer wohl ins Wasser gegangen sind, und bleibe keuchend stehen. Die Pazifikwellen sehen wild und gefährlich aus. Nirgends sind Schwimmer im Wasser, nur acht Surfer, die Neoprenanzüge tragen und in den Dingern alle gleich aussehen. Super.
Ich gehe zur Wasserlinie und rufe Evas Namen, so laut ich kann. Der Wind löscht meinen Schrei auf der Stelle. Ich starte ein paar wilde Winkattacken. Nichts. Die Surfer dümpeln auf dem Wasser und schauen landauswärts. Scheiße. Ich werfe einen Blick auf die Uhr. Noch fünfzig Minuten.
Ich gehe zu einem kleinen Klippenvorsprung und halte eine Hand ins Wasser. Das Wasser hat vielleicht zehn Grad, niemand hält es ewig in den Temperaturen aus, also gehe ich wieder zurück und setze mich in den Sand. Was mache ich, wenn die Surfer doch noch eine Stunde draußen bleiben? Und was mache ich, wenn die Surfer an Land kommen und Eva nicht dabei ist? Gott, das hier kann sich ruckzuck zu der bescheuertsten Aktion meines Lebens entwickeln.
Ich setze mich in den Sand, versuche, tief zu atmen und nicht darüber nachzudenken, was passiert, wenn ich hier wieder abfahren muss, ohne Eva gesehen zu haben.
Einer der Surfer schwingt sich auf, nimmt eine Welle und reitet landeinwärts. Ich springe auf die Beine und beobachte, wie der Surfer näher kommt. Mein Herz klopft wild, während er so nahe kommt, dass ich die Umrisse erkennen kann. Scheiße. Falls Eva sich nicht einen Vollbart zugelegt hat, ist sie es eher nicht.
Fünf Meter vor mir lässt der Typ sich ins Wasser fallen und kommt an Land gewatet. Ich frage ihn, ob da draußen auch eine deutsche Touristin ist. Er grinst, ja, die wäre einfach nicht totzukriegen. Na prima. Noch fünfundvierzig Minuten. Das Gute ist, ich weiß jetzt, dass sie da ist. Das Dumme ist, ich habe keine verdammte Ahnung, wie ich sie erreichen kann. Sie ist nur fünfzig Meter von mir entfernt, aber sie ist in einem anderen Element und könnte ebenso gut auf einem anderen Planeten sein.
Der Vollbart packt sich das Board unter den Arm, grüßt und marschiert Richtung Autos. Ich schaue wieder zu den Surfern raus und nehme mir vor, noch zehn Minuten zu warten; wenn sie dann nicht rauskommt, besorge ich mir einen Neoprenanzug und paddele darauf hinaus.
Im selben Moment kommen ein paar heftige Wellen angerollt. Fast alle Surfer paddeln los, und schon kommen sie auf mich zugeritten. Als sie noch fünfzig Meter vom Land entfernt sind, entdecke ich sie. Eine halbe Sekunde schaue ich in ihr Gesicht, bevor sie mit einem Ruf über Bord geht, in die Welle klatscht und verschwindet. Die nächsten Sekunden sind die längsten meines Lebens, bis endlich ein Oberkörper in Strandnähe aus dem Wasser auftaucht und beginnt, zum Strand zu waten. Die anderen Surfer beenden
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