Die Beste Zum Schluss
ich bin vor der o p wieder da. Ich muss mich ranhalten, sie wartet nicht mehr lange. Ich will nur von ihr hören, dass sie lieber durch die Welt reist, als mit mir zusammen zu sein, dann kann ich sie gehen lassen – aber so nicht. Also fliege ich rüber und frage sie.«
Sie betrachtet mich, als wäre ich gerade aus einem Wandschrank gesprungen.
»Eva wartet da drüben auf dich?«
»Na ja, mehr oder weniger. Dienstag reist sie weiter. Ich muss sie vorher erwischen, sonst ist sie weg.«
»Und das fällt dir jetzt ein?«
»Nein. Ich hatte schon ein Ticket, als die Diagnose kam.«
Ihr Blick wird dunkler. Sie senkt ihr Gesicht und fährt sich mit der linken Hand durch ihre Struppelhaare.
»Es war doch ein bizarr falscher Augenblick, um dich alleine zu lassen, und das ist es immer noch, dein Vater bringt mich wahrscheinlich um, aber ich muss mit ihr reden, bevor sie verschwindet, ich muss !«
Sie steht einfach nur da. Je länger sie schweigt, desto nervöser werde ich.
»Sagst du bitte mal was?«
Nichts.
»Hey Süße, alles in Ordnung?«
»Nein«, murmelt sie und hebt ihr Gesicht. Ihre Augen sind blank. »Verdammt, nichts ist in Ordnung …« Sieht aus, als würde sie gleich weinen, aber das kann ja nicht sein. Sie zieht die Nase hoch und mustert mich düster. »Jeden Morgen, wenn ich aufwache, hoffe ich, dass ich mich in jemanden verliebe, der keinen Totalschaden hat, und du triffst diese Klassefrau und …« Sie verstummt und zieht wieder die Nase hoch. »Verdammter Trottel …«
»Was hätte ich denn tun sollen? Ach, du hast Krebs? Prima, ich bin dann mal weg?«
Ihre Augen verengen sich.
»Glaubst du, ich will schuld sein, dass du dein Liebesleben verpfuschst? Ich hab dich noch nie so verliebt gesehen, also nimm, verflucht noch mal, nicht meine Krankheit als Ausrede. Soll der Scheißkrebs etwa gewinnen?«
»Entschuldigen Sie bitte«, ruft jemand halblaut. »Könnten Sie Ihre Sprache mäßigen?«
Wir schauen uns um. Fünf Gräber weiter steht eine Oma. Rene winkt rüber und schaut mich wieder an.
»Was willst du ihr sagen?«
Ich zucke mit den Schultern. Sie hebt die Augenbrauen.
»Du folgst ihr bis nach Kanada und weißt nicht, was du ihr sagen willst?«
»Ich habe genug Zeit im Flieger, um darüber nachzudenken, okay?« Ich hebe eine Hand. »Und noch was …«
Sie zieht eine Grimasse.
»Jesus …«
»Ich habe vorhin Henning Kruska getroffen.«
Sie macht große Augen. Ihr Mund öffnet sich und bildet ein kleines O.
»Hast du ihm was getan?«
»Nein, du Pappnase«, sage ich. »Wusstest du, dass er mit Meggie, der kleinen, hübschen, durchgeknallten Iranerin, zusammen ist?«
»Schon lange.«
»Warum erzählst du mir so was nicht?«
»Ich?« Sie zieht eine Grimasse. »Ich soll dir von Kruska erzählen …« Sie verstummt und schaut mich merkwürdig an. »Oh Jesus Maria – ihr habt euch versöhnt!«
»Yep«, sage ich.
Ihre Augen werden wieder blank.
»Wirklich?«
»Ja«, sage ich nickend. »Wir haben uns ausgesprochen.«
Ihre Unterlippe beginnt zu zittern. Eine Träne löst sich aus ihrem rechten Auge und läuft über ihre Wange. Sie bleibt an ihrem Kinn hängen. Eine weitere kommt angerollt und nimmt ihr die Entscheidung ab. Sie stoßen zusammen, werden zu schwer und fallen auf einen Boden, der schon Millionen Tränen gesehen hat.
Rene weint.
»Das ist … schön«, sagt sie mit brüchiger Stimme.
Ich mustere sie überrascht. Zum ersten Mal, seitdem ich sie kenne, weint sie vor mir, und dann ausgerechnet jetzt? Die Krankheit ihrer Mutter, die Beerdigung, Volker, ihre Diagnose – aber sie weint, weil ich mich versöhnt habe. Oh Mann.
Ich ziehe sie an mich. Sie lehnt sich gegen meine Brust und beginnt zu schluchzen. Ich umarme sie und kämpfe gegen den Drang mitzuweinen. Mein Herz fühlt sich groß und warm an. Ich küsse ihre Stirn, und als meine Lippen ihre Haut berühren, gebe ich dem Drang nach. So weinen wir vor einem Grab, wie Millionen andere Menschen es vor uns getan haben. Nur unsere Gründe sind schöner.
Ein junges Paar geht vorbei. Sie hat verweinte Augen, er schaut starr nach vorne. Keiner von beiden schaut uns an. Ich halte Rene fest umarmt und merke, wie mein Hemd feucht wird. Ich blicke über ihre Schulter auf das Grab meiner Eltern. Vor einundzwanzig Jahren stand ich genau hier, während zwei Särge in der Erde versenkt wurden. Hinter mir standen Menschen, die weinten. Ich war auf Tabletten und nahm alles wie durch eine Nebelwand wahr. Vielleicht war das
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